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Diebe

Diebe

Titel: Diebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Gatti
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vor einem Obst- und Gemüsegeschäft stehen bleibt und die ausliegenden Melonen betastet, fängt sie an zu laufen und passiert ihn genau in dem Moment, wo er beide Hände voll hat, die eine mit der Melone, die er sich ausgesucht hat, die andere mit einigen Münzen, um sie zu bezahlen. Ohne innezuhalten, lässt sie den Schlüssel in seine Tasche gleiten und erreicht, im gleichen Tempo weiterlaufend, die nächste Ecke, biegt in die Seitenstraße und bleibt dann stehen, wartet noch ein paar Sekunden, bevor sie zurückblickt.
    Nichts. Nicht mal ein Wimpernzucken.
    Gut. Allemal so gut wie Demi, denkt sie, doch sofort bekommt sie ein schlechtes Gewissen. Demi steckt hinter verschlossenen Türen, vergitterten Fenstern. Demi ist derjenige, der auf die hohen weißen Mauern des Schlosses starren muss, falls ihr Vorhaben nicht gelingt, und sie hat noch so viel zu tun.
    Sie schwingt sich auf eine andere Straßenbahn und springt am Agua-Platz wieder ab. Es ist schon spät, der weite Platz liegt still und verlassen da, sogar der Brunnen läuft nicht mehr. Sie geht schnell an Moros Bar vorbei, sieht von draußen einige Gäste, die die Köpfe zusammenstecken, zusammen trinken und reden. Von den Schattenmännern in den dunklen Anzügen ist nichts zu sehen. Vielleicht ist das die Ruhe vor dem Sturm, überlegt sie. Die Luft ist drückend und stickig, und nach der Anspannung ihres Manövers mit dem Wachmann fühlt sie sich plötzlich müde. So geht das oft: Die Nerven sind zum Zerreißen gespannt, bevor du zuschlägst, und dann, wenn du den Schatz in der Hand hast – das Portmonee oder die dicke Brieftasche, die du Demi zeigst oder Demi dir –, dann fühlst du dich zwar gut, aber gleichzeitig so müde, als hättest du ganz viel laufen müssen. Heute Abend schnürt die Luft ihr die Kehle zu, und sie hat nichts vorzuweisen außer dem Abdruck eines Schlüssels in einem Stück Seife, nicht eben viel – und doch genug, um ihr die Beine etwas leichter werden zu lassen.
    Anstatt quer über den Platz zu gehen, wo sie trotz des schlechten Lichts gesehen werden könnte, nimmt sie den langen Weg um den westlichen Rand herum, bis sie die Gasse erreicht, die sich in das Herz des Barrio windet und dann direkt weiter zu Mama Bali führt. Es ist stockdunkel im Barrio, aber sie braucht nichts zu sehen. Mit den Fingerspitzen streicht sie an den Wänden entlang, taucht nach links oder rechts, ohne nachzudenken. Allein ihre Finger und ihre Füße sagen ihr, was zu tun ist.
    Mamas Tür ist zu, fest verriegelt, und es ist auch kein Licht in der Küche zu sehen. Baz möchte keinen Lärm machen – wenn man das an einem Ort wie diesem tut, kommt mit Sicherheit jemand, um zu gucken, was los ist, unter Umständen jemand, der einem etwas tun kann. Aber sie hat gar keine andere Wahl. Sie klopft an die Tür und drückt sich in die tiefe Dunkelheit des Hauseingangs.
    Irgendwo scheppert alte Volksmusik aus einem Radio. Ganz in der Nähe hört sie jemanden Schleim husten, bestimmt eine Lungevoll, und eine Stimme grummelt dazu, fluchend, heiser, rau wie Schmirgelpapier.
    Dann, nach einer ganzen Weile und nachdem sie noch einmal an die Tür geklopft hat, hört sie Mama schlurfend aus dem kleinen Zimmer, das sie über der Küche bewohnt, die enge Treppe herunterkommen. »Wer ist da?«, ruft sie.
    »Baz«, sagt Baz so leise wie möglich, blickt dabei flüchtig über die Schulter, ob da nicht der Schattenmann kommt und sie am Nacken packt, sie packt und ihr den Hals umdreht, aber falls dort hinten, ein Stück die Gasse hinunter, jemand steht, kann sie ihn nicht sehen. Und dann geht die Tür auf, und Mama Bali steht da in einem gelben Baumwollnachthemd, so groß wie ein Zelt, die Augen weit aufgerissen vor Besorgnis.
    Sie späht an Baz vorbei in die Dunkelheit, dann packt sie sie und zieht sie ins Haus. »Was machst du denn, törichtes Kind? Das halbe Barrio sucht nach dir. Fay hat ’n Mordswirbel veranstaltet und jetzt geht’s hier zu wie in ’nem Nest von durchgedrehten Ameisen.«
    »Hab das Geschäft erledigt, Mama«, sagt Baz leise, während Mama die Haustür verriegelt und noch einen Rollladen davor herunterlässt.
    »Tsts. Was für’n Geschäft? Bist noch ’n Kind. Kinder ham keine Geschäfte. Setz dich dahin. Siehst aus, als wärste verletzt. Biste verletzt, Baz?«
    »Nein, nicht verletzt, Mama.«
    Mama macht eine Lampe an und mustert Baz ausgiebig, dann, als sie sich davon überzeugt hat, dass das Mädchen keinen sichtbaren Schaden erlitten hat, stellt sie

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