Diebe
bei Mama, anders kann es nicht sein. Sie rufen nicht und klopfen auch nicht an die Tür, aber Baz weiß, was sie machen.
Sie muss nichts sehen können, um zu wissen, dass sie einfach nur ihre Fingerspitzen benutzen, um die unverschlossene Tür aufzustoßen. Muss nichts sehen können, um zu wissen, dass Mama immer noch auf ihrem Hocker sitzt und auf sie wartet.
Sie steht auf und bewegt sich katzengewandt über verrückte Dächer, meidet Wellblech und steigt leichtfüßig über Dachfenster, die mit Streckfolie und Draht abgedeckt sind. Sie springt über eine schmale Hauslücke, drückt sich an einer Ansammlung von heißen Rohren vorbei, überquert ein weiteres Dach und macht dann an der Kuppel halt. Ihr und Demis Rückzugsort. Falls sie jemand an diesem Platz sucht, dann kann er nur von Demi hergeführt worden sein; und Demi führt niemanden irgendwohin. Hier ist sie sicher.
Sie geht in die Hocke und lehnt sich mit dem Rücken gegen die Wölbung der Kuppel. Mama wird denen nichts sagen. Mama wird irgendeine Geschichte erfinden, sie wird lospoltern und Widerworte geben. Mama ist die Seele des Barrio, ihre Küche die einzige, die immer geöffnet ist. Niemand wird Mama etwas tun.
Sie hört Rufe in der Ferne, stampfende Füße, sie sieht den Strahl zweier Taschenlampen und dann raunt genau unter ihr jemand etwas in ein Handy. Anschließend wieder Totenstille, nur hin und wieder unterbrochen von Rufen und gedämpften Verkehrsgeräuschen, die aus der Stadt herüberdringen.
Baz schließt die Augen und versucht zu schlafen, doch der Schlaf will nicht kommen. Die Stunden vergehen langsam. Über ihr hängen die Sterne wie silbrige Dornen am schwarzen Himmel, ringsum und unter ihr verstreut sich das Barrio in alle Richtungen, einfach ein Chaos, denkt sie, nichts als ein Durcheinander von Straßen, die nirgends hinführen. Zweimal wird sie von Schreien aufgeschreckt, das eine Mal ist es nur ein Kampf unter Katzen, das andere Mal ist sie sich nicht so sicher. Es klingt nach Schmerz und es läuft ihr kalt den Rücken hinunter. Sie bleibt, wo sie ist. Fay lässt bereits das halbe Barrio nach ihr suchen. Keiner bestiehlt Fay. Sie wird Baz zur Strecke bringen und sie wird toben, und dann, wer weiß, wird sie sie an Moro übergeben. Baz sagt sich, dass sie lieber sterben würde, als an Moro übergeben zu werden. So also verbringt sie die Nacht, mit dem Rücken an die Kuppel gelehnt, die Knie fest umschlungen, hinausstarrend auf die schwarzen Nadelöhrgassen des Slums.
Eine halbe Stunde vor Sonnenaufgang beginnt sich das Barrio zu regen. Es entsteht Bewegung, Menschen rufen und husten. Einige von denen, die einen Job in der Stadt haben, machen sich auf in Richtung Agua. Wer bleibt, stellt den Herd an und beginnt mit der Tagesroutine. Fast ist sie versucht, es drauf ankommen zu lassen und jetzt aufzubrechen, aber es ist sicherer, wenn sie noch wartet: Später sind mehr Leute unterwegs, es ist leichter, sich verborgen zu halten und die Schattenmänner zu identifizieren, die an irgendwelchen Ecken herumhängen, um Ausschau nach Fays Kindern zu halten. Und so bleibt sie also noch, im Schneidersitz dem Fluss zugewandt, wartet auf die Sonne und überlegt sich, was zu tun ist.
Die aufgehende Sonne ist knallgelb und wirkt irgendwie müde und trotz des Dunstes über dem ausgetrockneten Fluss kann Baz noch so gerade eben den flachen eckigen Klotz von Fays Haus ausmachen. Dort wird sich noch niemand rühren. Der Raum wird heiß und stickig sein. Die Jungen werden rund um den stummen Fernseher gekuschelt liegen, und Fay, die zerzausten Haare wie orangefarbene Flammen rund um ihr Gesicht züngelnd, wird reglos wie eine Leiche auf ihrem schmalen Bett liegen, die Augen geöffnet, doch ohne Blick, mit Pläneschmieden beschäftigt. Es gab Zeiten, da hätte sie Baz und Demi in diese Pläne eingeweiht, da saßen sie alle drei am Tisch, und Demi war immer ganz begierig darauf, endlich loszulegen.
Langsam erhebt sich Baz, sorgsam darauf bedacht, sich von der Dachkante fernzuhalten, streckt sich, stellt sich auf die Zehen, dreht sich, die Arme ausgebreitet, langsam um, wie eine von den Tänzerinnen an Mamas Wand. Dann sieht sie den Rauch und erstarrt.
Es ist dichter und ölig schwarzer Rauch, der genau aus der Richtung von Mamas Küche aufsteigt, aber niemand da, der Eimer aus Luciens Brunnen schöpft, niemand ruft, niemand kommt gelaufen. Warum nicht? Es passieren oft Unfälle im Barrio. Häuser geraten in Brand. Und wenn auch kein
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