Diebe
die Lampe auf den Tresen. »Rühr dich nicht vom Fleck«, sagt sie, während sie das Gas anmacht und Milch zum Wärmen auf die Flamme stellt. »Ich mach was für dich.«
An den Wänden ringsum scheinen Mamas Tänzer, die aus alten Zeitschriften herausgerissenen Bilder, zum Leben zu erwachen. Wie geht das bloß, dass sie so frei sind?, denkt Baz, und wie jedes Mal fragt sie sich, wie es wohl wäre, wenn man sich so bewegen könnte. So hoch springen würde man vielleicht, dass man glatt über die Mauer des Schlosses rüberkäme. Rechts vom Zugang in die Küche hat Mama ein paar aktuellere Zeitungsausschnitte aufgehängt. Eine Schlagzeile ist so groß und fett gedruckt, dass die darin ausgesprochene Anklage förmlich von der Wand zu springen scheint: »DU DIEB HAST UNSER WASSER GESTOHLEN!« Und darunter Bilder des Staudamms und grobkörnige Gesichter von Leuten, die Baz nicht kennt.
»Hast schlimme Sachen gesehn?«, fragt Mama, während sie etwas Rum in einen Becher mit heißer Milch gießt.
»Schlimme und gute.«
»Hier, Mädchen, das ist gut für die Lebensgeister. Siehst aus wie ’n herrenloser Hund.« Sie bugsiert ihre Körpermasse auf einen Hocker, nachdem sie das gleiche Getränk, das sie Baz serviert, auch für sich zubereitet hat, nur mit dreimal so viel Rum.
Baz nimmt einen Schluck und erzählt ihr, was geschehen ist. Mama nickt und sagt zu allem ihre Meinung, schimpft über den Uniformträger im Schloss, hat Mitleid mit der Frau des Captain und ergreift Baz’ Hand, als sie schildert, wie Demi mit seinem verbundenen Arm ganz allein im Militärkrankenhaus gelegen hat.
»Solltest ihn lieber ganz schnell da rausholn, Baz. Kein Kind wird lang an diesem Ort bleiben. Das hab ich im Urin. Wenn sie ihn da wegschaffen, dann tanzt dein Demi auf’m Drahtseil zum Himmel.«
»Ich weiß«, sagt sie. »Das musst du mir nicht erst sagen, Mama. Aber du musst mir helfen.« Baz zieht das Stück Seife mit dem Schlüsselabdruck hervor. »Bring das zum Schlüsselmann, Mama. Für’n Kind wie mich würd er nix tun, aber für dich macht er das, wenn du für mich fragst. Das ist der Schlüssel, der Demi freilässt, Mama.«
Mama beguckt sich die Seife, fasst sie aber nicht an. Stattdessen kippt sie noch einen Schuss Rum in ihren Becher. »Was willst du, Baz? Ich hab diesen Laden hier. Der Laden ist alles, was ich hab. Du weißt nicht, was du verlangst. Du weißt, ich helf dir, wo ich kann, Kind, aber ich muss mich aus Barrio-Angelegenheiten raushalten. Wenn ich ’ne Dummheit mach, brennt diese Küche ab und ich gleich mit. Baz, Tatsache ist, du und Demi, ihr seid jetzt ’ne Barrio-Angelegenheit. Wenn ich zu diesem Schlosser geh, dann weiß bald das halbe Barrio, was ich von ihm wollte.« Sie wischt sich mit dem Ärmel ihres Nachthemds über das schweißnasse Gesicht. »Geh in die Stadt, Kind. Ich geb dir ’ne Nummer, ich sag dir ’n Namen, und morgen lassen wir den Schlüssel machen.«
»Morgen ist zu spät, Mama. Was hast du grad gesagt? Hol Demi ganz schnell da raus. Ganz schnell ist jetzt. Gib dem Mann Geld, dann hält er den Mund. Geld ist wichtiger als sich einmischen – das weiß jeder im Barrio.«
Mama Bali kneift die Augen zusammen. »Wie viel hast du?«
»Genug.« Nach Demi ist Mama die Person, die Baz am liebsten mag auf der Welt. Früher wäre es Fay gewesen, aber Fay ist jetzt eine andere Person. Ja, sie mag Mama, fast vertraut sie ihr sogar, aber wer irgendjemandem hier im Barrio sein ganzes Vertrauen schenken würde, der wäre ein Narr. »Wie viel brauchst du?«
»Zwanzig für den Schlüssel, schätz ich, das Gleiche noch mal, um sein Schweigen zu kaufen. Haste so viele Dollars?«
Baz nickt. »Klar.«
Sie dreht sich um und holt dann einen Fünfziger hervor. »Ich verlang kein Wechselgeld, Mama.«
Mama steckt sich den Schein in den Ausschnitt. Schüttelt dann den Kopf. »Vergiss es nicht, Baz. Behalt das hier in Erinnerung, und falls ich mal alt werde, dann seht ihr nach mir, du und Demi. Mir helfen, dass ich mich über Wasser halten kann, das müsst ihr tun, hörst du?«
Baz nickt. Sie begreift, was Mama sagen will: Sie kennt die Gefahr, und sie weiß, wenn man jemanden um einen Gefallen bittet, dann muss man ihm auch einen tun.
»Also gut.« Mama steigt hinauf in ihr Zimmer, zieht sich ein schwarzes Kleid an und wickelt sich einen schwarzen Schal um den Kopf. Sie schlägt die Seife in ein Stück Stoff, dann schiebt sie die Riegel zurück, zieht den Rollladen hoch, macht vorsichtig die Tür auf und
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