Diebeswelt Sonderband: Der dunkle Held

Hanse! Sieh doch! Ein Kätzchen hier draußen in
der Wüste!«
    Hanse nickte. »Ich sehe es. Beim Leibhaftigen Schatten,
Wunder, was bei allen Höllen machst du hier?«
    Sofort kam die sehr große und rote Katze ein paar Schritte
näher und stieß ihren Hinterleib gegen Hanses Bein. Laut
schnurrend lief sie weiter. Auch ihr Schwanz, der sich fest halb um
sein Bein herumgelegt hatte, rieb sich an seiner Wade und glitt an
ihr entlang. Als die Katze mit ein paar Schritten um seinen
Fußknöchel herumgestrichen war, drehte sie sich um und
wiederholte die Prozedur auf dem Rückweg. Außer ihrem
Schnurren produzierte sie eine Reihe anderer Töne, die leise
aber irgendwie eindringlich klangen.
    »Ich kann es nicht glauben! Er ist uns gefolgt! Das war es,
was ich hinter uns zu sehen geglaubt hatte, Mignureal. Ich habe es
wirklich gesehen! Ihn, meine ich! Wunder!«
    »Das ist Wunder? Aber das ist unmöglich! Die ganze
Strecke von Frei… Das ist Wunder, Hanse? Die Katze, von der du
mir erzählt hast?«
    »Aye. Oh.« Hanse stieß das lange Messer in den
Boden und ließ, noch während er sich niederkauerte, das
andere in seiner Scheide verschwinden. Er legte Wunder eher
versuchsweise die eine Hand auf den Rücken – sofort machte
Wunder einen Buckel und rieb seinen Körper an seiner
Handfläche, wobei er laut genug schnurrte, um Gläser zum
klirren zu bringen – und die andere Hand auf Mignureal.
»Wunder. Sieh her, Wunder. Fr… Wunder, verdammt, sieh
her! Freund, Wunder. Meine liebe – meine liebste Freundin,
Min-ju-rie-el. Mignureal, Wunder, Freund.« Aus dem Mundwinkel
heraus flüsterte er leise: »Er ist wild, Mignue, ich meine
das ernst. Versuch nicht, mit ihm zu schmusen.«
    »Mrarr?«
    »Was für eine merkwürdige Stimme er hat, Hanse! Und
er sagt auch überhaupt nicht, was er eigentlich sagen sollte! Er
hat nicht ein einziges Mal ›Miau‹ gesagt! Hallo, Wunder, du
großer, hübscher Kerl. Ich bin Mignureal.«
    Wunder richtete den Kopf auf und spitzte die Ohren. Er setzte
einen niedlichen Gesichtsausdruck auf und brachte ein gefährlich
süßes »Miu?« hervor. Dann begann er wieder laut
zu schnurren.
    »Ohh, was für ein niedliches Kätzchen! Was
für ein liebes, kleines… äh, was für ein liebes
Kätzchen. Hanse! Laß mein Handgelenk los, ich wollte gar
nicht… O Hanse! Er muß fast verhungert sein!«
    »Uh. Wunder… warum bei allen Höllen bist du mir
gefolgt? Ahdio muß krank vor Sorge sein. Oder verrückt
genug, um Locher in die Wände zu schlagen!«
    »Mior!«
    »Schon gut, schon gut.« Hanse streckte plötzlich
lächelnd die Hand aus.
    Wunder wich zwei Schritte zurück und starrte ihn mit
peitschendem Schwanz an. »MAU!«
    »Schon gut, schon gut. Mignue, gib ihm doch irgendwas zu
fressen, damit er dich, äh, mag. Das ist keine normale Katze,
glaube mir. Wunder ist eine Wachkatze, und er ist darauf abgerichtet
anzugreifen. Er ist außerdem so bösartig wie eine
Schlange, aber nur wenn er jemanden nicht mag. Oder wenn jemand Ahdio
angreift oder bedroht. Das heißt mich, jetzt. Er gehörte
Ahdio, und…«
    »Ich erinnere mich«, sagte sie und kramte bereits in
einem Packen herum. »Er ist ein Kater, der nur auf einen
Menschen fixiert ist und jeden außer Ahdio haßt. Das hast
du mir erzählt, und daß du Katzen immer gehaßt hast,
aber Wunder hat dir sofort Respekt eingeflößt, und danach
wart ihr sofort Freunde fürs ganze Leben. Und ich,
ich…«
    »Ja. Du hast für mich gesehen. Du hast mir
gesagt, ich sollte ihn mitnehmen, als ich in jener Nacht über
die Mauer gestiegen und in den Palast eingedrungen bin, um für
die Rebellen der VFBF das Zepter der Beysa zu stehlen. Nur hattest du
gar nicht wissen können, was ich vorhatte, und du hattest von
Wunder weder etwas gehört noch ihn jemals gesehen. Du hast mir
nur gesagt: ›Nimm die Katze mit‹, und ich habe es getan.
Und er hat mir das Leben gerettet. Wunder hat mir das Leben gerettet!
Ich habe ihn trotzdem Ahdio zurückgebracht, und mir wäre
nie im Traum eingefallen… verdammt! Was, bei der heißen
Hölle, tust du hier, Wunder? Wir haben Freistatt vor drei
Nächten verlassen!«
    Wunders einzige Reaktion darauf bestand aus einem Zucken seines
Schwanzes, als er seinen Namen hörte. Wachsam beobachtete er
Mignureal, und seine Nasenflügel vibrierten.
    »Es ist geheimnisvoll, das ist alles, was man dazu sagen
kann, Hanse. Da, nimm, Wunder, ein schönes… oh! Er
muß aber wirklich Hunger haben!«
    »Schon gut, gib ihm noch ein bißchen mehr.