Diebeswelt Sonderband: Der dunkle Held
Der große Mann nickte
ihr zu, sah Hanse an, nickte wieder und setzte seinen Weg fort. Hanse
blickte ihm eine Zeitlang nach. Der andere wandte sich nicht mehr
um.
»Yo!« rief Hanse.
Der große Mann zog an den Zügeln, drehte sich um und
blickte zurück, die Augenbrauen fragend hochgezogen.
»Wenn du in Freistatt einen gewissen Ahdio treffen solltest,
Ahh-dii-ohh…«
»Ahdio. Ja?«
»Äh… sag ihm, daß du den großen roten
Kater gesehen hast und daß das Pärchen, das mit ihm
unterwegs war, schwört, ihn nicht gestohlen zu haben. Er ist
ihnen gefolgt. Durch die Wüste, aye.«
»Ich sage Ahdio, daß ihr schwört, daß der
große rote Kater euch von selbst gefolgt ist und ihr ihn auf
keinen Fall gestohlen habt.«
Hanse nickte. »Richtig. Vielen Dank.«
Der andere Reisende nickte zurück, wandte sich ab und ritt
auf dem Waldweg weiter. Hanse tat dasselbe. Dann klang wieder ein Ruf
auf.
»Yo!«
Hanse drehte sich um und blickte zurück, die Augenbrauen
fragend hochgezogen.
Der andere Mann sah mit einem halben Lächeln zu ihm
herüber. »Ich heiße Strick.«
»Strick?«
»Richtig«, bestätigte der andere, hob lässig
die Hand zum Gruß und drehte sich zum letzten Mal um, um seinen
Weg entlang der Straße durch den Wald fortzusetzen.
»Ich glaube, wir haben einen guten und ehrlichen Mann
getroffen«, sagte Mignureal ruhig. Sie hielt das Medaillon in
der Hand. »Was soll ich damit machen, Hanse?«
»Trage es«, schlug er vor, während sie
weiterritten. »Ich glaube auch, daß wir einen guten Mann
getroffen haben. Weil wir ihm nicht in die Quere gekommen sind«,
fügte er hinzu.
»Er ist ein großer Kerl, nicht wahr?«
»Mehr als nur das«, sagte Hanse. »Dieser Strick ist
ein Mann der Waffen. Vielleicht ein Soldat. Auf jeden Fall aber ein
Ex-Soldat.«
Sie ritten weiter durch den Wald und unterhielten sich über
den großen Mann, über die Schlichtheit seiner Kleidung und
sogar seines Pferdes. Und über diese blauen Augen unter den
Brauen, die dunkler gewesen waren als sein großer
herabhängender Schnurrbart, der die Farbe alter Bronze besessen
hatte.
Ein paar Stunden später kamen wie aus dem Wald heraus. Vor
ihnen lag ganz offensichtlich bäuerliches Land. Eine breite
Straße führte nach Norden und nach Osten. Sie war nicht
gepflastert, und das hielt Hanse für ein gutes Zeichen.
Militärstraßen waren gepflastert.
Imrys und seine Frau Tenny waren wirklich nette und
gastfreundliche Leute. Selbst ihre Katzen verhielten sich ruhig, als
zwei weitere dazu kamen, was ziemlich ungewöhnlich war, wie
zumindest Mignureal wußte. Der gelbe Hund, der sich längst
daran gewöhnt hatte, mit Katzen zusammenzuleben, schenkte Wunder
und Regenbogen kaum Beachtung, aber er bellte die beiden Menschen
pflichtbewußt an, bis sein Herr ihm befahl, ruhig zu sein.
Nachdem er seiner Pflicht so nachgekommen war, schwänzelte der
Hund herum und erwartete ein paar Streicheleinheiten als
Belohnung.
Hanse und Mignureal wollten nur ein wenig Wasser und eine
Dachkammer für die Nacht. Imrys bestand darauf, die Pferde und
den Onager mit etwas Hafer zu versorgen. Er führte auch sein
eigenes großhufiges Arbeitspferd und eine einjährige
Färse aus dem Pferch heraus und in eine alte baufällige
Scheune hinein, damit die Reisenden den Pferch für ihre eigenen
Tiere benutzen konnten. Das war nur vernünftig, denn auch wenn
die Pferde Wallache waren, konnte kein Gott dafür garantieren,
daß sich alle Pferde vertrugen.
Tenny bestand darauf, daß die ›Gäste‹ das
warme Essen mit ihnen teilten, das sie gleich zubereitete. Das war
nicht bloß ein rituelles Angebot, wie die Besucher erfuhren,
als sie dem Ritual gemäß ablehnten. Bald schon war
Mignureal der knochigen, streng riechenden Frau behilflich,
während Hanse ihrem knochigen und ebenfalls streng riechenden
Mann in und bei der Scheune half. Weder Hanse noch Mignureal
erwähnten, daß sie gerne baden würden. Für Imrys
und Tenny erfüllte Wasser offensichtlich andere Zwecke.
Nachdem Imrys keine Einwände erhob, spielte Hanse eine Weile
mit dem neunjährigen Klein-Imrys. Sie benutzten eine Seitenwand
der Scheune als Zielscheibe für die Wurfmesser. Ein großes
Astloch bildete das eigentliche Ziel, aber Klein-Imrys –
eigentlich hieß er Rys – traf nicht einmal in die
Nähe. Seine Schwester Rose, die ein Jahr älter war, kam dem
Ziel schon etwas näher.
Der Rindfleischeintopf schmeckte wunderbar, und Tennys Brot, mit
fester Kruste und weichem Inneren, verdiente Lob.
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