Diebeswelt Sonderband: Der dunkle Held
auch.«
»Aha. Würdest du mir deine logischen und
vernünftigen Überlegungen mitteilen?«
Sie nickte und hob die linke Hand. »Erstens: Ich glaube, wenn
wir jetzt alle Münzen herausnehmen, wird die Tasche heute abend
noch leer sein.« Sie bog mit der anderen Hand einen Finger um.
»Zweitens«, sagte sie und berührte den nächsten
Finger, »glaube ich, daß morgen wieder elf Münzen in
der Tasche sein werden.« Sie bog auch diesen Finger nach
unten.
»Hmm. War es das?«
»Das war’s, Hanse.«
»Und wenn wir alles so lassen, wie es jetzt ist?«
»Ich denke – und bitte vergiß nicht,
daß das bisher nur eine Vermutung ist –, ich denke, wenn
wir alles so wie jetzt lassen, werden in der Tasche morgen
zweiundzwanzig Münzen sein, und übermorgen auch… und
auch nächste Woche.«
Plötzlich schlug er sich mit einer Hand an die Stirn,
entfernte sich unsicher vom Pferd und schlug klatschend die
Hände zusammen. »Ah, langsam, Hanse, langsam. Ich verstehe!
Du meinst, wir haben neunundachtzig Münzen, ’und elf davon
sind… irgendwas. Verhext«, sagte er, und er sprach das Wort
so aus, als bereitete es ihm Schmerzen. »Und neun der
Münzen, die wir in die Tasche gesteckt haben, gehörten
dazu. Die anderen beiden übernatürlichen Münzen haben
wir an unseren Körpern verborgen, in unserer Kleidung, und
während der Nacht… wanderten sie in die
Tasche.«
Mignureal nickte. »Falls ich recht habe, müssen
diese elf Münzen jeden Morgen in der Tasche sein. Dabei spielt
es keine Rolle, wie viele andere schon drin sind, aber diese elf sind
auf jeden Fall dabei.«
»Den Göttern sei Dank, daß Regenbogen nicht auch
immer wieder in der Tasche sein muß!«
Sie warf einen kurzen Blick auf die gescheckte Katze. »Ich
habe überhaupt keine Ahnung, was Regenbogen betrifft.«
»Laß uns verschwinden und weiterziehen, Mignue. Wir
werden die Tasche heute abend untersuchen und ausleeren. Wir
könnten auch versuchen, diese zweiundzwanzig Münzen zu
vergraben, auf einen Baum zu legen oder irgend etwas anderes damit
anstellen.« Er sah auf das Flüßchen. »Ich
hätte direkt Lust, die Tasche jetzt in den tiefen Teich zu
werfen!«
»Das würde das Problem wahrscheinlich lösen«,
sagte sie, doch dann runzelte sie die Stirn. »Es sei denn…
es sei denn, diese Silbermünzen haben direkt mit uns zu
tun.«
Ich glaube, das haben sie, dachte Hanse, aber er wollte es
nicht laut aussprechen. Ich glaube, die Tasche hing nicht am Sattel, als ich ihn auf das Pferd legte! O ihr Götter, was
denke ich da nur? O nein, verdammt, nein – Götter! O
Il s, wie ich Zauberei hasse!
An diesem Tag drängte Mignureal Hanse mehrmals, den Armreif
der Tejana anzulegen. Hanse gab nach, hauptsächlich deshalb,
damit sie endlich Ruhe gab. Da er aus Gewohnheit einen Armschutz aus
schwarzem Leder um das linke Handgelenk trug, streifte er den Reif
über das rechte und drückte ihn zusammen, bis er eng genug
anlag. Nichts geschah. Nichts änderte sich. Er trug den
dämlichen Armreif aus Kupfer nur ihr zuliebe.
Die Sonne stand ungefähr im Zenit, doch zwischen den hohen
Bäumen, die noch dichter zusammenzurücken schienen, um eine
angenehme Kühle zu spenden, brannte sie nicht mit
dämonischer Kraft auf den Waldboden herab, als sie dem anderen
Reisenden begegneten. Als er noch zu weit entfernt war, um
gedämpfte Stimmen verstehen zu können, wies Hanse Mignureal
an, ihre Namen nicht zu erwähnen. Sie mußten jedem, den
sie trafen, mit Vorsicht begegnen.
Der große Kerl ritt auf einem Falben und führte ein
weiteres Pferd mit sich, das mit Gepäck beladen war. Er war kein
junger Mann, wie Hanse bemerkte. Die Falten in seinem Gesicht und um
die Augen verrieten, daß er dreißig bis vierzig Jahre alt
sein mochte. Seine merkwürdige Mütze, die die Ohren
bedeckte, bestand aus ungefärbtem und kahlem Leder. Er war
genauso wachsam und vorsichtig wie Hanse und nannte deshalb keinen
Namen. Nachtschatten fragte erst gar nicht.
Der Fremde sagte ihnen, daß er auf dem Weg nach Freistatt
sei.
»Oh«, sagte Hanse kühl. »Ich bin dort gewesen.
Keine schlechte Stadt.«
»Aber auch keine besonders gute, wie ich gehört
habe«, antwortete der andere mit ruhiger und ungewöhnlich
sachlicher Stimme. Er war ein großer, rotgesichtiger Bursche
mit einem mächtigen, rötlichen Schnurrbart, einem ziemlich
buschigen von ungewöhnlich bronzebrauner Farbe. Seine Tunika war
sehr grob und schlicht und besaß einen ungewöhnlich
großen Kragen und Ärmel, die kurz genug
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