Diebeswelt Sonderband: Der dunkle Held
ob ihr euch wirklich
in Firaqa niederlassen wollt.«
»Imrys, ich habe dich ein bißchen belogen.
Ich…«
»Wir haben alle unsere Geheimnisse, und die Leute hier in der
Gegend respektieren die Privatsphäre der anderen, Hanse. Du
brauchst nichts mehr zu sagen.«
In der tiefen Dunkelheit, die mittlerweile herrschte, ging Hanse
über diesen Einwand hinweg. »Ich habe meinen Vater nie
kennengelernt. Ich bin ohne Elternhaus und ohne Erziehung
aufgewachsen. Ich war ein Dieb, Imrys. Ein wirklich guter Dieb. Dann
habe ich Mignureal kennengelernt, und… nun, dann bin ich ein
wenig in politische Angelegenheiten verwickelt worden. Mein letzter
Diebstahl bestand darin, in das Haus des Herrschers einzubrechen und
etwas zu stehlen, das die Rebellen brauchten. Dann haben sich Mignue
und ich Hals über Kopf aus dem Staub gemacht. Oh… wir haben
diese Pferde nicht gestohlen. Nun sind wir unterwegs nach Firaqa, um
noch einmal ganz von vorne anzufangen. Zusammen.«
Hanse schwieg. Der größte Teil seines Berichtes
entsprach der Wahrheit, wenigstens zum Teil, und er fühlte sich
erleichtert, Imrys davon erzählt zu haben. Er beschloß,
sich später darüber Gedanken zu machen, warum das so
war.
»Eine gute Frau kann aus den meisten von uns einen
anständigen Mann machen, Hanse«, sagte Imrys. Er war zu dem
augenscheinlichen Schluß gekommen, daß Hanse sich
geändert hatte, und daß Mignureal dafür
verantwortlich war. »Du hättest mir das alles wirklich
nicht zu erzählen brauchen, aber ich danke dir für dein
Vertrauen, und ich freue mich für dich – über deine
Pläne, ein neues Leben zu beginnen, meine ich. Aber trotz allem,
ich habe nichts gehört.«
Hanse stieß ein verhaltenes Lachen aus. »Schön,
aber denke daran, daß du jetzt in Firaqa einen Freund hast oder
demnächst haben wirst. Einen, der sich hervorragend darauf
versteht, in der Nacht herumzuschleichen.«
Sie hatten wieder kehrtgemacht, um zum Bauernhof
zurückzuschlendern. Imrys, Lachen klang ein wenig nervös.
»Ich wüßte keinen Grund, warum ich die Hilfe eines
solchen Burschens brauchen sollte, falls ich einen kennen würde.
Natürlich kenne ich auch keinen. Aber ich werde mich an deine
Worte erinnern. Ich kann euch nur alles Gute für eure Zukunft
wünschen und… äh, natürlich, auch viel Glück
mit eurem Laden.«
Gegen seinen Willen mußte Hanse lachen. Was für ein
Mann! Er akzeptierte mit völliger Selbstverständlichkeit
alles, was Hanse ihm erzählt hatte, behauptete gleichzeitig,
nichts gehört zu haben und versprach im gleichen Atemzug, sich
daran gegebenenfalls zu erinnern.
Was für Leute sie doch in den letzten Tagen getroffen hatten!
Einen Bauern und einen vorsichtigen Reisenden, der nur widerwillig
seinen Namen preisgegeben hatte. Hanse hatte ein gutes Gefühl,
was dieses Land und seine Reise nach Firaqa betraf. Es leben
anständige Menschen in dieser Gegend. Soll Freistatt doch unten
an der Küste im Süden bleiben und verrotten.
»Oh«, sagte er plötzlich. »Ich habe ein paar
Kupferstücke in der Schärpe. Ich gehe nur mal eben in die
Scheune und verstaue sie in unserem Gepäck.«
»Ich werde in der Zwischenzeit warten und mir den einen oder
anderen Stern anschauen«, sagte Imrys.
Wieder war Hanse verwundert. Was für ein
rücksichtsvoller Mann dieser Imrys doch war! Mit welcher
Behutsamkeit er die Privatsphäre anderer respektierte! In der
dunklen Scheune, die nur spärlich vom Mond- und Sternenlicht
erhellt wurde, das durch die Ritzen zwischen den Brettern fiel, legte
Hanse seine schwere Schärpe ab. Er achtete darauf, daß es
nicht klimperte, als er die gute Handvoll Silbermünzen
herausnahm und sie vorübergehend versteckte. Dann verließ
er die Scheune wieder, die Schärpe um die Hüfte
geschlungen. Er ging zusammen mit Imrys zum Haus zurück.
»Ich wollte die Kinder ins Bett schicken, Vater«, sagte
Tenny zu ihrem Mann, »aber Mignue sagte, Hanse wollte sie erst
noch einmal sehen.«
»Das wollen wir beide«, sagte Hanse und nahm seine
leuchtend rote Schärpe zum zweiten Mal innerhalb weniger Minuten
ab.
Mignureal stand sofort auf. Als sie den Wollrock auszog, rief sie
sehr viel mehr Aufmerksamkeit hervor als Hanse mit seiner
Schärpe, aber sie trug natürlich noch mehrere Röcke
unter dem ersten. Tenny protestierte sofort, daß sie das
Geschenk nicht annehmen könnten, während ihre Tochter
unverständliche Worte murmelte und schluchzte und Rys so tat,
als würde er nicht weinen, als Hanse dem Jungen die Schärpe
um die
Weitere Kostenlose Bücher