Diebeswelt Sonderband: Der dunkle Held
zum
Nachbarstand. »Mignue, ich habe diese Verabredung um Mittag, und
nach dem Stand der Sonne scheint es mir fast soweit zu sein.
Türkis, wenn du mir versprichst, daß du Mignue
hierbehältst, komme ich später wieder, wenn ich das
Geschäftliche erledigt habe.«
»Oh. Liebling, wie lieb von di…«, begann Mignureal,
aber da sah sie auch schon nur noch seinen Rücken, als er sich
durch die Menge schob. Sie bemerkte, daß er nicht so ging, wie
sie zuvor gemeinsam gegangen waren. Er schien fast zu rennen, aber
trotzdem konnte sie nicht erkennen, daß er einen anderen
Menschen auch nur berührte. Geschmeidig und wendig wie eine
Katze, dachte sie und wandte sich wieder der interessanten
Unterhaltung zu.
Obwohl Hanse kaum zu spät kam, wartete Lallias bereits in der
Grünen Gans. Er kann es kaum abwarten, dachte Hanse.
Wahrscheinlich hatte er sich schon mit seinem Bruder Horse
besprochen. Sie machten sich auf den Weg in Das Viertel, Hanse und
der Mann mit dem buschigen graubraunen Bart, der schon von vielen
silbernen Strähnen durchzogen war.
»Hübscher Wärmer«, bemerkte Lallias.
»Was?« Hanse sah sich schnell um. »Was ist ein
Wärmer?«
»Oh, ’tschuldige. Habe vergessen, daß du hier neu
bist. Deine Halskette aus Münzen. Wir nennen sie
Brustwärmer. Aber meistens sagt man nur Wärmer.«
»Oh.«
Auf ihrem Weg stellte Hanse eine Reihe von Fragen, die er zuvor
schon anderen gestellt hatte. Es beeindruckte ihn, daß er im
wesentlichen die gleichen Antworten bekam. Ihm fiel wieder ein,
daß er nach der Bedeutung der Herdwächterinnen fragen
wollte.
»Die Herdwächterinnen«, sagte Lallias respektvoll.
»Die reinsten Jungfrauen von ganz Firaqa, egal wie alt sie auch
sein mögen. Ihr Geist und Körper, ihre Leben und Seelen
sind der Ewigen Flamme geweiht. Eh, du da, hau ab. Wir haben kein
Geld für Kerle wie dich!«
»Oh«, sagte Hanse und tat so, als würde er den
Bettler gar nicht bemerken. »Und ihre Kleidung ist der Flamme
nachempfunden?«
»Aye. Die zuletzt geweihte Herdwächterin ist gleich in
zweifacher Hinsicht auserwählt, denn die Farbe ihres Haares
– ihre natürliche Farbe – ist die der Flamme.
Sie ist ein gutes Omen für uns alle, ohne Zweifel.«
»Hm- mhm. Dann habe ich also heute morgen zwei
gesehen. Und was machen die Herdwächterinnen, Lallias?«
Lallias wedelte mit einer großen haarigen Hand. »Sie
werden sehr verehrt, Hanse. Niemand redet schlecht über
die Herdwächterinnen. Sie sind… sie sind die
Herdwächterinnen.«
»Oh«, sagte Hanse. Ein paar Schritte später fragte
er: »Und was machen sie, Lallias?«
»Hier, um diese Ecke. Sie leiten viele Feiern und
öffentliche Veranstaltungen. Sie wachen über den Heiligen
Herd der Flamme und sorgen dafür, daß sie nie erlischt.
Sie haben gelobt, ihr Leben dafür herzugeben, daß das nie
geschieht.«
Das schien sicher genug zu sein, überlegte Hanse. Ein
heftiger Windstoß oder ein paar Eimer Wasser konnten ein Feuer
löschen, aber sie würden niemals einen Menschen umbringen
können! Es erschien auch sehr unwahrscheinlich, daß in
einer Stadt, in der die Flamme das verehrte Göttersymbol
war, irgend jemand in den Tempel stürmen könnte, um sie zu
löschen! Er vermied es, irgend etwas dazu zu sagen,
überquerte nur neben Lallias die Straße und bog in eine
andere ein.
Eine attraktive junge Frau mit einem endlos tiefen Dekollete
schenkte ihm ein bezauberndes Lächeln. Aber wahrscheinlich lag
das nur daran, daß sie Süßigkeiten verkaufen wollte
und er einen Wärmer voller Kupferfunken um den Hals trug.
»In gewisser Weise haben die Herdwächterinnen mehr Macht
als irgendwer sonst in Firaqa«, sagte Lallias. »Sie
repräsentieren das Oberste Gericht und sind die letzte
Berufungsinstanz in Fragen um Leben und Tod.«
»Hm. Lallias… du hast gesagt, ›in gewisser
Weise‹. Die Herdwächterinnen regieren nicht, und ich
schätze, der Hohepriester regiert auch nicht. Vorausgesetzt es
gibt einen, meine ich. Es spielt für Leute wie dich und mich
zwar keine große Rolle, aber ich weiß überhaupt
nichts über die Machtverhältnisse in Firaqa. Wer regiert
denn?«
Lallias stieß ein Schnauben aus. »Aye, es gibt eine
Menge geistliche Würdenträger – Priester – und
auch einen Hohepriester. Es gibt auch den Obersten Magistrat, aber
der regiert nicht. Er urteilt und trifft Entscheidungen. Dann gibt es
die Ratsversammlung, aber die regieren auch nicht. Die
Ratsmitglieder halten Versammlungen ab und führen sich wichtig
auf und
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