Diebin der Nacht
nur geistige Hirngespinste, meine Herren. Zu Ihrer Information, sie hat mir das alles schon selbst erzählt. Haben Sie jemals auch nur das kleinste bisschen über ihren Bruder herausgefunden?«
»Ein paar Dinge schon«, antwortete Lorenzo hintergründig.
»Wie zum Beispiel... ?«
Lorenzos Schildkrötenaugen wichen Bellochs prüfendem Blick aus.
»So dies und das.«
Rafe lachte erneut und schaute von einem zum anderen. »Das hatte ich mir schon gedacht. Sie haben das Geld des Mädchens genommen und ihr vorgelogen, ihren Bruder zu suchen. Sie haben ganz einfach ihre Liebe und ihre Besorgnis ausgenutzt, um schnell Kohle machen zu können.«
Keiner der beiden Männer gab eine Antwort. Rafe schlug auf den Tisch. »Nun kommt schon, Jungs - einer von euch beiden sollte lieber aufhören, ein finsteres Gesicht zu machen und stattdessen die Karten auf den Tisch legen.«
»Hören Sie zu, Beiloch«, protestierte Lorenzo, »ich hab für Ihre Verlobte gearbeitet, und ich behaupte, dass selbst ein Blinder sehen kann, dass sie ’ne Menge Geheimnisse über ihre Vergangenheit zu verbergen hat, auch darüber, wer sie ist.«
Die beiden Erpresser waren größtenteils damit beschäftigt, Rafes Schachzügen auszuweichen. Trotzdem aber wussten sie wohl gerade genug, um Mystere irgendwann in der Zukunft Probleme bereiten zu können; soviel konnte Rafe erkennen. Und das würde auch seine eigenen Pläne durchkreuzen können. Er schaute zu Sam hinüber und nickte kurz.
Sam seufzte wie gelangweilt, legte seine Zeitung beiseite und holte eine Aktenmappe aus einer ledernen Aktentasche, die an seinen Beinen lehnte. Er öffnete diese und entnahm ihr einen handgeschriebenen Brief.
»Mr. Perkins«, verkündete er, »ich habe hier einen Brief von Miss Laura Driscoll aus der Washington Street Nr. 17, seit beinahe zwei Jahren nun schon Ihre Geliebte, wie sie selber zugibt. Sie können sich den Brief gerne anschauen, wenn Sie möchten. Nein? Nun, kurz zusammengefasst hat sie sich einverstanden erklärt, vor Gericht zu bezeugen, dass Sie ihr Geld gegeben haben, welches - wie Sie selber zugegeben hatten - eigentlich für eine Operation hätte benutzt werden sollen, die Ihre Frau benötigte. Ich denke, Sie wissen, dass die Stadtgerichte mit Ehebruch überhaupt nicht einverstanden sind. Sie dürften mit ein paar Jahren harter Arbeit auf Blackwel l s Island rechnen.«
Rafe beobachtete, wie Perkins seine Melone abnahm, um sich mit einem Taschentuch den Schweiß von der Stirn zu wischen.
»Und was Sie betrifft, Sparky«, fuhr Sam mit wirksam monotoner Stimme fort, »Ihre Schwäche für Geschlechtsverkehr mit Jugendlichen mag die Stadtgerichte vielleicht weniger interessieren, da Ihre Opfer - genauso wie Sie selbst - zum Abschaum der Gesellschaft gehören.«
Sparky runzelte die Stirn und rümpfte seine riesige Nase. »Vorsicht, du kleiner Klugschwätzer«, unterbrach ihn der große Mann wütend. »Sonst werd ich dir gleich deine Beleidigungen ins Maul stopfen.«
Sams rechte Hand verschwand in seiner Anzugjacke und kam wieder zum Vorschein, während sie den Hahn einer Pistole spannte. Beide Besucher erblassten merklich. Sam fuhr fort, aus seinen Unterlagen vorzulesen.
»Eines Ihrer Lieblingsopfer jedoch ist ein Mädchen namens Sissy Folam, gerade mal vierzehn. Und ihr Bruder ist Terrance Folam, Anführer der Five-Points-Bande, vor der sich jeder fürchtete. Terrance ist angeblich ein ziemlich harter, rücksichtsloser Mann mit nur einem einzigen schwachen Punkt, und das ist seine kleine Schwester. Erzählen Sie uns doch mal, Sparky - Terrance weiß wahrscheinlich noch gar nicht - was Sie mit dem Mädchen so alles gemacht haben!«
Eine radikale Veränderung war mit Sparky vergangen. Seine großspurige Streitsucht war zu verschlagener Unterwürfigkeit geworden. »Ich... nein, Sir, ich befürchte... Heber nicht, Sir ... Ich bin nicht grade scharf drauf, dass Terrance was erfährt, das bin ich in der Tat nicht.«
Rafe schaute Lorenzo an. »Sehen Sie das genauso, Per ki ns?«
Lorenzo runzelte missmutig die Stirn, stimmte jedoch ebenfalls zu.
»Ihr beiden stümperhaften Dummköpfe so ll tet euch Heber auf die Bowery beschränken«, riet Rafe ihnen, vor Ungeduld schnaubend. »Auf der Wall Street seid ihr nämlich nur Köder unter Haien.«
Er nahm ein Teakholzkästchen mit Einlegearbeit aus Jade aus seinem Schreibtisch. »Laut Gesetz oder vom moralischen Standpunkt aus gesehen steht euch beiden überhaupt nichts zu. Hier sind trotzdem hundertfünfzig
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