Diebin der Nacht
Addison-Ball vor, bei der er versucht hatte, Tanz in eine körperliche Schlacht zu verwandeln.
Vor allem nach seinem wütenden Gefühlsausbruch vor wenigen Minuten hatte sie die Befürchtung, dass selbst ihr jahrelanges, rigoroses Training ihr nicht würde helfen können, seine Wildheit zu kontrollieren, die sich anscheinend stets durch körperliche Aktionen freisetzen musste. Wie falsch sie jedoch heute Abend damit lag.
Mrs. Astors Auserwählte um sie herum - ganz zu schweigen von etwa einem Dutzend Klatschreportem - wurde Rafe in ihren Armen zu einem neuen Mann. Anstatt sie bis an die äußersten Grenzen der Balance zu treiben, schien er mit ihr im Geiste und in der Bewegung zu einer einzigen Person zu werden. Sie schwebte so mühelos und im Einklang über die Tanzfläche, »als sei Perfektion«, so sollte Lance Streeter später in verzückter Prosa schreiben, »nicht länger eine Illusion des Künstlers.«
Wieder und wieder steigerte die Musik sich zu einer mächtigen Salve von Blechbläsern und Schlaginstrumenten, um dann in ein sanftes Geflüster von Streich- und Holzblasinstrumenten überzugehen. Der verzückten Mystere erschien es, als gäbe ihr Herz das Tempo an und nicht die Hand des Dirigenten. Als sie jedoch zu Rafe hinaufschaute, der mit einer neuen Zärtlichkeit ihren Blick erwiderte, musste sie sich auf den Boden der Tatsachen zurückzwingen.
Er schauspielert nur, sagte ihr Verstand. Verwechsle bei ihm nicht Erscheinungsbild und Realität. Dies ist nicht die märchenhafte Romanze, die du dir immer für dich ausgemalt hast. Er ist ein grausamer und gefährlicher Mann, und während es gerechtfertigte Gründe für seine Grausamkeit geben mag, so musst du dich vor den Konsequenzen fürchten.
Als die Musiker bei ihrer Schlussfanfare angekommen waren, trat Rafe, sie an der Hand haltend, zurück und verbeugte sich galant vor ihr. Das verzauberte Publikum brach in einen stürmischen Beifall aus, den kein Mensch von der normalerweise gesetzten und reservierten Gruppe erwartet hätte. Selbst Mrs. Astor musste sich Tränen der Rührung wegblinzeln.
»Ich gebe zu«, flüsterte sie später Mystere zu, »dass ich mir meine Entscheidung, diese Heirat anzuordnen, nochmals durch den Kopf hatte gehen lassen. Aber keine zwei Menschen waren jemals so füreinander bestimmt wie Sie und Rafe.«
Mystere gelang es irgendwie, darüber zu lächeln, jedes einzelne Wort jedoch war ein Nagel im Sarg ihrer Hoffnungen. Und Rafe, als ob er spüren konnte, dass seine kleine Vorführung sie nur noch tiefer in die Verzweiflung gestürzt hatte, erfreute sich inzwischen wirklich an seinem ironischen Spielchen zur Unterhaltung des Publikums. Er war liebevoll, aufmerksam, galant, und er wich für den Rest des Abends nicht ein einziges Mal von ihrer Seite.
Alle übrigen Anwesenden waren ebenfalls vollkommen fasziniert von dieser »perfekten Romanze«. Selbst als Mystere hinüberschaute, starrte Antonia Butler in ihre Richtung und machte eine offensichtlich bissige Bemerkung, die die Frauen um sie herum zum Lachen brachte. Antonias Gehässigkeit machte Mystere beinahe froh darüber, ihr den Ring gestohlen zu haben, der nun sorgfältig versteckt in derselben Schatulle lag, die auch den Brief an ihren Vater enthielt.
Sie war Antonia geradezu dankbar für ihre Feindseligkeit, denn diese ließ die trügerische Seifenblase dieser Nacht zerplatzen und brachte ihr dadurch wieder die Bedrohungen in Erinnerung, die sie nicht unterschätzen durfte. Bedrohungen wie Lorenzo Perkins und Sparky. Seit ihrer Zahlung von fünfzig Dollar hatten sie sie nicht wieder belästigt, aber warum hatten sie sich wohl in letzter Zeit nicht mehr gemeldet? Sie bezweifelte, dass ihre Gier so leicht zu befriedigen war. Irgendetwas hatten die beiden vor, und sie durfte es nicht zulassen, dass ein paar Minuten Walzertanzen ihr ein falsches Gefühl von Sicherheit wiegten.
»Warum so niedergeschlagen, Liebste?«, schreckte Rafes Stimme wie wieder in die Gegenwart zurück. »Du siehst aus, als würde man dich zur Guillotine führen. Ist mein Mädchen wegen irgendetwas unglücklich?«
Da war sein Sarkasmus wieder. Es war ihm gelungen, sie für einen Moment beiseite zu führen; ein Brunnen bot ihnen Schutz vor den anderen.
»Die Großartigkeit dieses Momentes wird nicht andaue rn , und das weißt du genauso gut wie ich«, flüsterte sie ihm vertraulich zu. »Wir müssen uns beide auf unsere eigenen Wege begeben. Dieser ganze Wahnsinn wird immer mehr zu einem Messer
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