Diebin der Nacht
die ihren. »Mystere, ich würde dich diesbezüglich nicht anlügen, wenn ich die Wahrheit wüsste. Ich weiß sie aber einfach nicht. Das wäre natürlich nicht unter ihrer Würde, aber ich kann mir nicht denken, was Paul dadurch gewonnen haben könnte außer vielleicht ein bisschen Geld von einer Erpresserbande. Auf jeden Fall wissen wir beide doch, dass ein aufgewecktes Kind sehr viel mehr Wert ist als ein bisschen Geld, zumindest für Paul.«
Mystere glaubte ihr. Einen Augenblick lang blieb sie ruhig und versuchte, die Bedeutung all dessen zu begreifen; Pauls eigentliche Motive aber entzogen sich ihr.
»Rose, ich verstehe dennoch nicht, was Paul vorhat. Was weiß er, was ich nicht weiß? Warum hat er bisher noch nichts unternommen?«
»Baylis erzählt mir mehr als Evan, aber selbst wenn er über Pauls Pläne Bescheid weiß, so hat er mir doch nichts darüber gesagt. Aber, Süße, du hast doch schon den zusammengeklebten Brief gefunden, oder? Der, den Paul aus dem Abfalleimer herausgefischt hat?«
Mystere nickte und spürte, wie ihr Herz sich zusammenzog, als sie daran erinnert wurde.
Rose gluckste. »Ach, Mädchen, ich wünschte, ich hätte mitgekriegt, wie du das getan hast. Du weißt doch, dass er den Abfall durchstöbert, oder etwa nicht?«
»Ja, ich ... oh, es ist nur, dass ich so viel um die Ohren habe, ich bin unvorsichtig geworden.«
»Das bist du in der Tat, und ich habe genauso wenig wie du eine Vorstellung davon, was Paul vorhat. Vielleicht glaubt er ja, dass Rafe dir zuliebe so lange geschwiegen hat und verlässt sich nun darauf, dass deine Heirat ihn auch in Zukunft schützen wird.«
»Ja, denn ohne Zweifel weiß er, dass Kopien dieses Briefes ihn an den Galgen bringen könnten, wenn er Rafe irgendwie schadet. Es sei denn, Paul kann einen >Unfall< so überzeugend arrangieren, dass Rafes Nachlassverwalter ihn nicht verdächtigen würde.«
»Es brodelt ganz fürchterlich,« gab Rose zu, »und ich kann es dir nicht verdenken, dass du Angst hast. Wenn Paul jedoch seine Hoffnungen in diese Heirat steckt, so hast du erst recht Grund dazu. Es könnte ja auch genauso gut ein Neuanfang für dich sein, Süße. Setz all deine Hoffnungen in diesen Gedanken.«
30
»Zur Sheridan-Residenz, Wilson«, rief Rafe aus, während er Mystere in die Kutsche half.
»Das ist doch auf der unteren Fifth Avenue, oder?«, rief Wilson zurück.
»Ja. Die Nummer habe ich vergessen, aber du wirst es schon am Verkehr erkennen.«
»Richtig. Werde in Windeseile dort sein, Sir!«
Das Gefährt setzte sich in Gang, und R a fe öffnete den ledernen Vorhang auf beiden Seiten, um das Licht der Straßenlaternen hereinzulassen. Dieses Mal hatte er sich, anstatt sie zu bedrängen, auf dem gegenüberliegenden Sitz niedergelassen. Ein paar Sekunden lang betrachtete er sie schweigend.
»Der alte Rillieux hat mir einen bösen Blick zugeworfen«, bemerkte er schließlich. »Was geht wohl in seinem Kopf vor?«
»Er weiß, dass du über ihn Bescheid weißt. Er hat den Brief von Stephen Breaux gefunden.«
»Ah ... warst wohl unvorsichtig, was? Ist das der Grund, warum er beschlossen hat, nicht mit uns zu kommen?«
»Da bin ich mir nicht sicher. Ich habe den Verdacht, dass er ursprünglich geplant hatte, zu Hause zu bleiben, weil er hoffte, dass auch ich das dann tun würde. Ich vermute, er will mich nicht in die Nähe Trevor Sheridans oder des Herzogs und der Herzogin kommen lassen.«
»Warum hat er dann aber nicht den Addison-Ball ausgelassen? Sie waren doch auch dort zugegen.«
»Ja, aber er hat mich von ihnen fern gehalten. Und außerdem war das, bevor ich angefangen hatte, ihm Fragen zu stellen.«
»Nun, ich bin froh, dass der alte Schurke Breaux’ Brief gefunden hat. Lass ihn ruhig ein bisschen schwitzen. Er hat es verdammt noch mal viel zu leicht gehabt auf Kosten anderer.«
»Du solltest ihn nicht unterschätzen. Er ist alt und kränklich, das ja. Aber sein Geist hört niemals auf zu intrigieren. Er stellt eine wirkliche Gefahr dar.«
»Zur Hölle mit ihm. Dieser Brief ist sogar perfekt. Er dient dazu, ihn zu warnen, zieht jedoch andererseits nicht die Polizei mit hinein, und eine direkte Drohung beinhaltet er ebenfalls nicht.«
»So interpretierst du die Geschichte.«
»Mach dir keine Sorgen wegen ihm. Sag mir, wie viel hast du eigentlich für Antonias Ring bekommen?«
Ärger überkam sie angesichts seines unverblümten, fordernden Benehmens. Sie hatte in der Tat beschlossen, den Ring erst ein wenig von seiner traurigen
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