Diebin der Nacht
die Brise verursachte ihr eine Gänsehaut, während sie beobachtete, wie der Horizont im Osten im Sonnenaufgang des neuen Tages lachsrosa zu glühen anfing. Schon konnte sie sehen, wie die erste Fähre am öffentlichen Schiffslandeplatz beladen wurde, und sie beeilte sich, damit sie diese noch erreichen konnte.
Als sie sich jedoch umdrehte und Rafe dort liegen sah, verlor sie beinahe den Mut. Es wäre so einfach, das Ganze zu verwerfen und aufzuschieben, zu ihm zurück in das warme Bett zu kriechen ... aber nein, nein, befahl sie sich in gnadenlosem Zielbewusstsein. Das wäre zwar im Moment der leichtere Weg - vielleicht - aber wenn sie bliebe, so würde sie nur den Schmerz ertragen müssen mit anzusehen, wie all dies wieder zerstört werden würde.
Caroline Astor und Paul erwarteten beide eine Hochzeit - aus unterschiedlichen Gründen zwar, aber beide waren sie potentiell gefährlich; Paul, wenn die Heirat stattfinden würde und Caroline, wenn sie es nicht tun würde. Und Rafe war der Schwierigste von den Dreien.
Wenn er sie durch irgendeinen unglücklichen Zufall heiraten würde, so wäre es eine lieblose Ehe gegen seinen Willen; er könnte jedoch auch alles sabotieren in seinem unerbittlichen Rachefeldzug. Was auch immer geschehen würde, ihre beste Chance, frei zu bleiben und nach Bram suchen zu können, lag in der Flucht. Besonders jetzt, da ihr verheerender Besuch in Sheridans Büro sie davon überzeugt hatte, dass sie und Bram keine logische Verbindung zum Hause Granville besaßen. Es wäre sinnlos, noch länger in New York zu bleiben, sinnlos und gefährlich.
Gestern, als Rafe sie nach Hause gebracht hatte, damit sie sich anziehen konnte, hatte Hush ihr Heizers Antwort auf ihre Nachricht übergeben. Sie sollte ihn später an diesem Tage wegen des Ringes treffen. Wenn sie Glück hatte, musste sie sich höchstens für ein paar Tage in dem Zimmer in der Centre Street verstecken.
Mystere zog ihr französisches Musselinkleid an und machte rasch Papier, eine Stahlfeder und ein Tintenfass in dem Konsoltischchen neben der Tür ausfindig. Sie ließ eine kurze Nachricht für Rafe zurück und warf von der Tür aus noch einen langen Blick auf ihn zurück.
Der Raum schien plötzlich zu verschwimmen, als Tränen ihr in die Augen stiegen. Ihrer Kehle fühlte sich an, als würde der Schmerz sie zusammenschnüren. Du musst ihn verlassen, ermahnte ihr Verstand sie. Dieser jetzige Schmerz ist nichts im Vergleich mit dem, was auf dich zukäme, wenn du bleiben würdest. Pauls Verzweiflung, Carolines Stolz, Rafes Rachsüchtigkeit - all das wird dich vernichten, wenn du nicht gehst.
Dann, indem sie sich schwor, niemals wieder zurückzublicken, verließ sie den Mann, von dem sie nun wusste, dass sie ihn liebte - und sie ging fort, um sich einem ungewissen Schicksal zu stellen.
»Verdammt«, murmelte Rafe und wurde langsam immer wütender, während er die kurze Nachricht las, die Mystere ihm auf dem Schreibtisch zurückgelassen hatte. Sie hatte sich nicht die Zeit genommen, sie abzulöschen, und ein paar Buchstaben waren verschmiert, sie war jedoch noch lesbar.
Ich bin für immer gegangen, und ich bitte dich, nicht nach mir zu suchen. Es ist sehr viel besser so. Ich danke dir für die letzte Nacht. Du hast es mir einfach gemacht, indem du so getan hast, als würdest du mich lieben.
Und in einer abschließenden Demonstration ihres rebellischen Geistes, die seine Lippen vor Bitterkeit entstellte, hatte sie mit Lady Moonlight unterschrieben.
Ein paar Minuten lang, während er sich schnell anzog, raste Rafe vor Wut über sie. Er war ein Mann, der es gewohnt war, das Sagen zu haben, die völlige Kontrolle zu besitzen; und wenn es um Frauen ging, so war er derjenige, der für Zurückweisungen zuständig war und nicht sie.
Als seine Wut nachließ, überkam ihn stattdessen eine kalte, quälende Sorge. Entgegen seiner Behauptung hatte er ihr Geheimnis nicht vor Mrs. Astor schützen können, und er hatte diese stümperhaften Erpresser nur verjagt, um die Kontrolle über die Ereignisse zu behalten. Doch es ging nicht nur um Kontrolle, um seinen verletzten männlichen Stolz - die Frau, die er letzte Nacht in seinen Armen gehalten hatte, diese sittsame kleine Schönheit, die sich in eine derart leidenschaftliche Geliebte verwandelt hatte, war die einzige Frau auf der ganzen Welt, die es mit ihm aufnehmen konnte. Er wusste, dass er sie finden musste, noch bevor sie sich zu weit entfernen konnte.
Es ist deine Schuld, dass
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