Diebin der Nacht
dem Ende zu. Komm mit mir zurück nach Staten Island - für die Nacht, meine ich.«
Eine Zeit lang sagte sie nichts, sondern beobachtete, wie der Fluss sich weiß schäumend vor dem Bug der Yacht teilte. Die Stille wurde erst schmerzhaft, dann unerträglich.
Als ob er sie unterbrechen wollte, oder vielleicht auch nur, um sie an seine Aufforderung zu erinnern, bewegte er seine Hand, die auf ihrer Hüfte ruhte - bewegte sie nach oben, um ihre Brüste zu liebkosen.
»Rafe«, protestierte sie angesichts seiner schockierenden Freimütigkeit, jedoch ohne den geringsten Versuch, sich ihm zu entziehen.
»Soll ich Skeels nun auftragen, nach Staten Island zurückzufahren ?«
Sie schaute hinauf in seine bittenden Augen, während sie ihre eigenen Augen vor der Sonne abschirmte.
»Ja«, ergab sie sich ihm, müde von den Kämpfen und den Drohungen, müde, gegen den Reiz anzukämpfen, den er auf sie ausübte.
Schon bald würde sie vor allem und jedem, den sie kannte, fliehen müssen, fliehen vor dem Bekannten und Vertrauten in eine ungewisse Zukunft voller Gefahren. Zumindest heute Nacht aber würde sie ein paar Stunden des Glücks in Rafe Beilochs Bett verbringen. Sie wusste, dass sie am Morgen - wenn sie clever war - ihre Chance würde ergreifen müssen, sich von Rillieux zu befreien und für immer zu verschwinden.
33
Als die Courageous Kate an ihrem Staten-Island-Liege- platz vertäut wurde, war die Sonne schon am westlichen Horizont heruntergebrannt.
»Hungrig?«, fragte Rafe, als sie beide Arm in Arm auf das massive Tor seiner Garden-Cove-Besitzung zuliefen.
»Verhungert«, gab sie zu, nachdem ihr bewusst geworden war, dass sie seit dem Frühstück nichts mehr gegessen hatte, und auch dann nur Kaffee und ein Croissant. »Nun, das ist ein seltsames Gefühl«, fügte sie hinzu und lächelte im Zwielicht zu ihm auf.
»Was?«
»Dass du mir so harmlose Fragen stellst, und schau - zur Abwechslung zerrst du einmal nicht an mir herum wie an einem unartigen Kind. In der Tat laufe ich gerade aus freien Stücken neben dir her.«
»Du klingst enttäuscht. Würdest du lieber gezwungen werden?«
Er sagte das leichthin, aber seine Zweideutigkeit entging ihr nicht.
»Zwang«, wiederholte sie, »befreit einen zwar von der Verantwortung; ich ziehe es jedoch vor, selbst über mein Schicksal zu bestimmen.«
»Wahlmöglichkeiten, sagte einst ein weiser Mann, sind die Scharniere des Schicksals.«
»Ja«, flüsterte sie fast, denn Rafe hatte keine Ahnung, wie wahr seine Worte in ihren Ohren klangen. Ihr eigenes Schicksal hatte eine Weggabelung erreicht, und sehr bald schon musste sie die schwere Entscheidung treffen, welchen Weg sie einschlagen sollte. Beide Richtungen steckten voller Gefahren, heute Nacht jedoch, schwor sie sich, würde sie nicht mehr daran denken. Auch wenn Rafe sie nicht liebte und es wahrscheinlich niemals tun könnte, so würde sie sich doch mit Lügen zufrieden geben. Sie wollte aufhören, sich über alles Sorgen zu machen, sie wollte Freude und Nähe und Wärme spüren, sie wollte sich erwünscht und gebraucht fühlen anstatt ständig ausgenutzt, gejagt und in Angst zu sein.
»Wir sinds nur, Jimmy«, sagte Rafe, als sie kurz vor Einbruch der Dunkelheit das Tor erreichten. »Wenn wir herein gegangen sind, sei doch bitte so gut und laufe zu Millys Unterkunft hinüber und bitte sie, ein leichtes Abendessen für uns beide vorzubereiten. Sie braucht aber nichts zu kochen.«
»Mach ich, Boss.«
»Ach, und würdest du dann bitte in den Weinkeller hinuntergehen und eine Flasche ... Burgunder, würd ich sagen, holen.«
Die schwere Eisentür ächzte, als Jimmy sie aufschwingen ließ und dann wieder schloss. Mystere spürte, wie seine Augen sie abschätzten; sie errötete unbemerkt und dachte daran, wie viele Male der gut aussehende Rafe Beiloch wohl ein Frauenzimmer mit nach Hause und in sein Bett gebracht hatte. Sie nahm jedoch all ihre neu gewonnene Entschlossenheit zusammen und verjagte diese Gedanken. Die trostlose Realität ist jetzt nicht wichtig, dachte sie. Nur für diese eine Nacht lebst du in einer Märchenwelt, und du wirst dir dein eigenes glückliches Ende schreiben.
Während die Köchin ihre Mahlzeit zubereitete, tranken Rafe und Mystere im vorderen Salon den Wein.
Sie wanderte in dem Raum umher und sah sich Fotografien aus den glücklicheren Tagen in Rafes Leben an. Er errichtete ein kleines Feuer, um das dürftige Kerzenlicht zu verstärken. Es flackerte nun blutorange hinter einem bestickten
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