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Diebin der Nacht

Diebin der Nacht

Titel: Diebin der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meagan McKinney
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seinen fruchtbaren Mist mit Respekt behandelt, müssen wir diejenigen in Ehren halten, die wir von ihrem kostbaren Spielzeug trennen.«
    »Also wirklich, Paul«, neckte Mystere ihn, als sie in den Salon trat, »der Junge ist doch erst zwölf. Du klingst wie Plato, der seinen Schülern eine Vorlesung hält.«
    Bei ihrem Eintreten rappelte Hush sich höflich auf und ließ das traurige, wirre Lächeln aufblitzen, das bei ihrer ersten Begegnung sofort Mysteres Herz erobert hatte. Der Waisenjunge arbeitete als Rattenfänger und lebte in Little Italy am südlichen Ende der Mulberry Street in einem Zimmer, das einem Loch glich, im Untergeschoss. Seine Hose aus Resten unionsblauen Shoddytuches wurde von einem Ledergürtel gehalten, der drei Nummern zu groß für ihn war; sein schmutziges, geflicktes Hemd war aus Wolle und man konnte erkennen, dass der Junge es ständig trug.
    Rillieux war an diesem Morgen in guter Stimmung und begrüßte Mystere mit einem Lächeln. »Erst zwölf, ja, aber schau dir das hier mal an. Er ist nicht nur ein aufmerksamer Schüler, sondern auch ein Wunderkind.«
    Er wies auf die Beute, die auf einem in der Nähe stehenden Teetisch mit Einlegearbeit aufgehäuft war. Neben mehreren Brieftaschen enthielt Hushs letzte Ausbeute ein goldenes, italienisches Kordelarmband und ein Paar Ohrgehänge mit Saphiren und Diamanten.
    »Der Junge hat ein bemerkenswertes Talent«, brüstete Rillieux sich. »Nach dir habe ich seinesgleichen nicht mehr gesehen, Mystere. Was er in den Gassen gelernt hat, wird ihn für die »oberen Vierhundert qualifizieren, das sage ich dir. Er hat die Hände eines Taschendiebes, die ebenso gut ein Klavier oder ein Chirurgenmesser beherrschen könnten. Das Gold übrigens hat vierundzwanzig Karat.«
    Ihr Gesicht zeigte keinerlei Rührung, seine selbstgefällige gute Laune über das vorsätzliche Verderben dieses Kindes erfüllte sie eher mit Wut. Rillieux hatte den Ruf eines weit gereisten Gelehrten. In Wahrheit jedoch bestand seine Genialität aus nichts anderem als aus einem fast fotografischen Gedächtnis. Dieses diente zwei nützlichen Zwecken: Allein durch das Sicheinprägen von Dingen konnte er sich als beträchtlich gelehrt ausgeben und, was noch nutzbringender war, er vergaß niemals den Fundort irgendeines wertvollen Stückes.
    »Ist jemand gestorben?«, fügte er hinzu und schenkte ihrem düsteren schwarzen Kleid einen verdutzten Blick.
    »Ich finde, sie sieht wunderschön aus, Sir«, sagte Hush mutig. »Wie eine Dame auf irgendeinem berühmten Gemälde.«
    »Wir wissen ja, dass du in sie vernarrt bist, mein Junge. Und wer könnte dir das auch verübeln! Selbst in Schwarz ist sie noch eine Augenweide. Wirst du heute die Kutsche benötigen, Mystere?«
    Sie musste vorsichtig sein. Das war ja auch einer der Gründe dafür, dass sie das schwarze Kleid trug. Witwen, die allein ausgingen, wurden normalerweise ihrer Trauer überlassen, während andere junge Frauen, die sich allein in der Stadt aufhielten, bestenfalls für Prostituierte gehalten wurden. Und sie hatte vor, alleine in die Stadt zu gehen.
    Gewiss könnte sie die Kutsche nehmen, aber Rillieux hatte seine Gründe dafür, mit der Kutsche so großzügig zu sein. Wenn Baylis sie führe, so würde dieser ihre Unternehmungen pflichtbewusst an Rillieux weitergeben. Die ganze Dienerschaft, Rose eingeschlossen, verhielt sich ihm gegenüber ausgesprochen loyal. Immerhin hatte er sie ja von der Straße geholt und ihnen einen guten Platz zum Leben und eine gewisse Sicherheit in ihrem bis dahin verzweifelten Leben gegeben. Baylis mochte sie wirklich, und sie mochte ihn; sie hatte jedoch gelernt, dass er nie etwas vor Paul geheim halten würde.
    »Ich denke, der Bus wird es auch tun«, sagte sie zu ihm. »Ich habe vor, ein wenig auf dem Broadway einkaufen zu gehen, und du weißt ja, wie verstopft dieser normalerweise ist. Der arme Baylis hasst es, einen Standplatz suchen zu müssen.«
    »Nun, dann lass dir aber zumindest eine Kutsche kommen. Die »oberen Vierhundert fahren nicht mit dem Bus.«
    »Um so besser«, antwortete sie leichthin. »Dann wird ja auch keiner von ihnen mich dort sehen können. Es macht mir Spaß, mit dem Bus zu fahren.«
    Rillieux runzelte die Stirn. »Wie du willst, meine Liebe. Sorge aber bitte dafür, dass du bis spätestens drei Uhr am Nachmittag wieder zurück bist. Wir sind zu einer Dichterlesung bei den Vemons eingeladen. Sylvia Rohr wird ebenfalls dort sein - ich habe ein Auge auf eines ihrer kleinen

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