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Diebin der Nacht

Diebin der Nacht

Titel: Diebin der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meagan McKinney
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dem ich Ihnen erzählt hab, der Sir Francis Drake .«
    Er zuckte mit den Schultern, während er den kunterbunten Menschenfluss überall um sie herum beobachtete. Kinder in weißen Leinenanzügen und -kleidern wurden von Kindermädchen beaufsichtigt. Und mitten unter ihnen die Gassenkinder, Kinder wie Hush, die in Lumpen gekleidet waren und mehr oder weniger auf der Straße lebten. Auch sie waren Kinder und konnten dem Anblick der Geldstücke im Brunnen oder dem Leierkastenmann nicht widerstehen.
    »Jeder Hinweis endet einfach in einer Sackgasse«, erzählte er ihr. »Diese Art von Suche braucht halt ihre Zeit. Ich komm aber dem Aufenthaltsort Ihres Bruders immer näher. Das hab ich im Gefühl.«
    »Ja, aber das ist genau das, was Sie mir beim letzten Mal auch schon gesagt hatten, Mr. Perkins. Sie haben seitdem also nichts Neues herausgefunden?«
    »Was verstehen Sie schon vom Detektivgeschäft? Eines sollten Sie wissen - man kann alles verwerten. Es muss nur unter großen Mühen sortiert werden. Ich werd es schon noch rausfinden, wie ich Ihnen sagte, Sie müssen nur etwas Geduld haben.«
    »Sie haben also nach zwei Wochen absolut nichts Neues zu berichten? Was haben Sie denn die ganze Zeit über getan?«
    »Ich leb nicht nur von Ihnen allein, wissen Sie. Ich hab verschiedene andere Fälle, die ich zurzeit bearbeite.«
    »Ja, das erzählten Sie mir schon. Verschuldete Kapitäne, glaube ich, hatten Sie gesagt.«
    »Unter anderem«, versicherte er ihr in defensivem Ton.
    Sie spürte, wie ein Wutausbruch in ihr hochstieg. Bram zuliebe unterdrückte sie diesen jedoch. Ihre Haltung Per- kins gegenüber war eine Mischung aus Widerwillen und Nachsicht, denn er war ihre einzige Hoffnung - wenn auch eine verzweifelte Hoffnung. Detektive waren nicht so einfach zu finden, und sie war nicht erpicht darauf, sich einen anderen suchen zu müssen, der sich dann womöglich als noch schlechter heraussteilen könnte.
    »Falls er an Bord der Drake gesegelt sein sollte«, fuhr sie fort, »müsste es da nicht irgendeine Aufzeichnung darüber geben? Das Logbuch des Schiffes oder so etwas?«
    »Das ist eine Nuss, die ich noch nicht geknackt habe.«
    Eine von vielen, dachte sie verbittert.
    »Ich hatte schon vorgehabt, es mir anzuschauen«, fügte er hinzu, als er die Wut in ihren Augen und auf ihren zusammengekniffenen Lippen sah.
    In der Feme kündeten die Dampfpfeifen der Fabriken die Mittagszeit an. Mystere verharrte in übellaunigem Schweigen und beobachtete, wie ein plötzlich aufkommender Windstoß die Oberfläche des Sees in Bewegung brachte und die Bootsfahrer ihre Hüte festhalten mussten.
    Das Wasser aber verhalf ihrem Gedächtnis auf die Sprünge, und ihr inneres Auge sah Brams Entführung noch einmal vonstatten gehen.
    Es passierte nur wenige Wochen, nachdem Rillieux sie und Bram aus dem Waisenhaus in der Jersey Street befreit hatte. Zum damaligen Zeitpunkt war sie acht und Bram vierzehn Jahre alt gewesen. Eines Tages, als sie auf der Suche nach Opfern für ihre Diebstähle in Manhattan hemmgelaufen waren, wie Rillieux es ihnen beigebracht hatte, hatte plötzlich eine Kutsche neben ihnen angehalten.
    Vier wie normale Seeleute gekleidete Männer hatten Bram gepackt und in die Kutsche geworfen, offensichtlich in der Absicht, ihn zum Dienst auf einem Schiff zu entführen. Danach war die Kutsche fortgeeilt und hatte sie hilflos, erschüttert und ihrer Familie beraubt zurückgelassen.
    Bram hatte sie seither nicht mehr losgelassen. Sein Verschwinden war, als hätte man ihr einen Arm abgeschnitten. Sie wurde von Visionen gequält über das, was mit ihrem einzigen Verwandten passiert sein könnte, dem wunderschönen Jungen mit den platinblonden Haaren, die so anders aussahen als ihre eigenen, und den Augen in exakt der gleichen grünen Farbe wie die taufrischen Felder Irlands. Manchmal fragte sie sich, ob der Verfasser des Briefes ihn wohl gefunden hatte. Sie versuchte sich vorzustellen, wie er nun in einem vornehmen Haus lebte, geliebt und geschätzt - ein Mann von inzwischen sechsundzwanzig Jahren, vielleicht schon mit einer eigenen Familie. Sollte das jedoch der Fall sein, warum hätte er sie im Stich lassen sollen - oder glaubte er vielleicht, sie sei tot?
    »Einst, als ich zwölf war«, erzählte sie Perkins und unterbrach dadurch ihr langes Schweigen, »glaubte ich, Bram zu sehen. Er war oben in der Takelage eines Schiffes, das von den Docks in der South Street lossegelte. Das gleiche Haar und die gleichen Augen. Aber es war schon

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