Diener der Finsternis
Zuversicht wird sein unter seinen Flügeln. Seine Wahrheit ist Schirm und Schild,
Daß du nicht erschrecken müssest vor dem Grauen der Nacht, vor den Pfeilen, die des Tages fliegen,
Vor der Pestilenz, die im Finstern schleicht, vor der Seuche, die im Mittage verderbt.«
Sie stießen auf einen Weg, und der Wagen raste davon, als seien wirklich alle Teufel der Hölle hinter ihm her. Fünf Meilen später stießen sie auf die Straße von Lavington nach Westbury. Der Herzog schlug die Richtung nach London ein, ohne die Geschwindigkeit herabzusetzen. Er mißachtete alle Gefahren in seiner Furcht vor der so viel größeren Gefahr, die hinter ihnen lag.
Erst kurz vor Andover hielt der Herzog den Wagen an und drehte sich nach Rex um. »Wie geht es ihm?« fragte er.
»Er ist bewußtlos. Er ist eiskalt und hat kein Augenlid bewegt, seit ich ihn in den Wagen gezogen habe. Mein Gott! Welch eine gräßliche Geschichte!«
»Ja, das kann man wohl sagen.« Zum ersten Mal sah de Richleau älter aus, als er war. Erschöpft lehnte er sich einen Augenblick gegen das Lenkrad. Dann riß er sich zusammen, holte eine Feldflasche hervor und reichte sie Rex.
»Gib ihm davon zu trinken, soviel er schlucken kann.«
Rex beugte sich zu Simon nieder, öffnete ihm gewaltsam den Mund und goß eine ordentliche Portion des alten Brandy hinein. Simon hustete, keuchte und hob plötzlich den Kopf. Seine Augen öffneten sich. Er starrte Rex an, erkannte ihn aber nicht. Dann schlossen sich seine Lider wieder, und sein Kopf sank zurück.
»Er lebt wenigstens noch, Gott sei Dank«, murmelte Rex. »Während du wie ein Wahnsinniger gefahren bist, habe ich mich zu Tode geängstigt, wir hätten Simon für immer verloren. Am besten bringen wir ihn so schnell wie möglich nach London beziehungsweise zum nächsten Arzt.«
»Das wage ich nicht.« In de Richleaus Augen stand eine verzweifelte Angst. »Der teuflische Mob wird sich inzwischen erholt haben und in das Haus in der Nähe von Chilbury zurückgekehrt sein. Du kannst sicher sein, daß sie irgend etwas gegen uns aushecken.«
»Meinst du, da Mocata deine Wohnung kennt, wird er sich darauf konzentrieren, Simon zurückzuholen, wie er es schon einmal getan hat?«
»Schlimmer. Ich bezweifle, ob er uns überhaupt das Haus erreichen läßt.«
»Wie können sie uns aufhalten?«
»Sie können zum Beispiel bestimmte Tiere kontrollieren – Fledermäuse, Schlangen, Ratten, Füchse und Eulen. Wenn sich eines davon vor die Räder wirft, während wir mit hoher Geschwindigkeit fahren, kann der Wagen umkippen. Außerdem können sie innerhalb gewisser Grenzen die Elemente beherrschen. Sie können uns in dichten Nebel hüllen, so daß wir mit einem entgegenkommenden Wagen zusammenstoßen. Wenn sie alle ihre Möglichkeiten kombinieren, wird uns bestimmt ein Unfall zustoßen, ehe wir in London sind. Denke daran, daß die Walpurgisnacht noch andauert. Jede böse Macht, die heute unterwegs ist, wird sich gegen uns stellen. Bis zum Sonnenaufgang sind wir jeden Augenblick in äußerster Gefahr.«
XVIII
»Aber hier stehenbleiben können wir auch nicht«, protestierte Rex.
»Das weiß ich. Wir müssen ein Heiligtum finden, in dem wir Simon bis zum Morgengrauen sicher unterbringen können.«
»Wie ist es mit einer Kirche?«
»Das wäre das Richtige, wenn eine offen wäre. Doch zu dieser Stunde sind sie alle abgeschlossen.«
»Können wir nicht einen Pfarrer aus dem Bett holen?«
»Wenn ich einen hier in der Nähe kennen würde, könnten wir es riskieren. Aber wie können wir von einem Fremden erwarten, daß er uns glaubt, was wir zu erzählen haben? Entweder hält er uns für Verrückte, oder er denkt, wir wollten seine Kirche ausrauben. Aber halt! Bei Gott, ich hab’s! Wir werden ihn in die älteste Kathedrale Britanniens bringen, und die steht jederzeit offen.« Mit einem erleichterten Auflachen wendete de Richleau den Wagen.
»Du willst doch nicht zurückfahren?« fragte Rex ängstlich.
»Nur drei Meilen bis zu der Abzweigung bei Weyhill und dann nach Amesbury hinunter.«
»Das bedeutet doch, daß wir zurückfahren.«
»Nein, ich will Simon nach Stonehenge bringen. Wenn wir es erreichen, sind wir in Sicherheit, auch wenn es nur etwa zwölf Meilen von Chilbury entfernt liegt.«
Wieder raste der Wagen durch die Nacht. Sie kamen durch die gewundenen Straßen von Amesbury, dessen Bewohner alle schliefen und keine Ahnung von der Schlacht zwischen der Macht des Lichtes und der Macht der Finsternis
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