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Dienstags bei Morrie: Die Lehre eines Lebens (German Edition)

Dienstags bei Morrie: Die Lehre eines Lebens (German Edition)

Titel: Dienstags bei Morrie: Die Lehre eines Lebens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mitch Albom
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werden die Menschen nicht dazu ermutigt, über solche Dinge nachzudenken, bis sie dem Ende wirklich nahe sind. Wir sind so beschäftigt mit unserem täglichen Kleinkram: Karriere, Familie, genügend Geld zu haben, die Hypothek abzuzahlen, ein neues Auto zu kaufen, die Heizung zu reparieren – wir sind mit Millionen von kleinen Dingen beschäftigt, nur, um weiterzuleben. Deshalb sind wir es nicht gewöhnt, einen Schritt zurückzutreten, uns unser Leben anzuschauen und zu fragen: Ist das alles? Ist das alles, was ich will? Oder fehlt irgend etwas?«
    Er stockte.
    »Du brauchst jemanden, der dir hilft, deine eigenen Wünsche zu erforschen. Es passiert eben nicht automatisch.«
    Ich verstand, was er sagte. Wir alle brauchen Lehrer in unserem Leben.
    Und meiner saß vor mir.
     
    Gut, dachte ich. Wenn ich hier der Schüler sein soll, dann werde ich mich bemühen, ein möglichst guter Schüler zu sein.
    Auf dem Heimflug an jenem Tag machte ich eine kleine
Liste von Themen und Fragen, mit denen wir uns alle auseinandersetzen: von »Glück« bis »älter werden« über »Kinder haben« bis »Tod«. Natürlich gibt es eine Million Selbsthilfebücher über diese Themen und viele Fernsehshows und Neunzig-Dollar-pro-Stunde-Therapien. Amerika ist zu einem Basar der Selbsthilfe geworden.
    Aber mir schien es noch immer keine klaren Antworten zu geben. Sollte man sich um andere kümmern oder um sein »inneres Kind«? Zu traditionellen Werten zurückkehren oder Tradition als nutzlos ablehnen? Nach Erfolg oder nach dem einfachen Leben streben? Einfach nein sagen oder es einfach tun?
    Eines wußte ich ganz bestimmt: Morrie, mein alter Professor, war nicht im Selbsthilfegeschäft. Er stand mitten auf den Schienen, hörte bereits das Pfeifen der Lokomotive des Todes und war sich sehr sicher, was die wichtigen Dinge im Leben betraf.
    Ich wünschte mir jene Klarheit. Jede verwirrte und gequälte Seele, die ich kannte, wünschte sich jene Klarheit.
    »Du kannst mich alles fragen«, sagte Morrie immer.
    Also machte ich folgende Liste:
Tod
Furcht
Altern
Gier
Ehe
Familie
Gesellschaft
Verzeihen
Ein sinnvolles Leben
    Diese Liste hatte ich in der Tasche, als ich das nächste Mal zu Morrie kam. An einem Dienstag Ende August, als die Klimaanlage am Flughafen nicht funktionierte, die Leute sich Luft zufächelten, sich wütend den Schweiß von der Stirn wischten und jeder, dem ich ins Gesicht schaute, so aussah, als wäre er bereit, jemanden umzubringen.
     
     
     
    Zu Beginn meines letzten Jahres am College habe ich so viele Soziologiekurse belegt, daß ich nur ein paar Punkte von meinem Abschluß entfernt bin. Morrie schlägt vor, daß ich eine wissenschaftliche Arbeit schreibe.
    »Ich?« frage ich. »Worüber soll ich denn schreiben?«
    »Was interessiert dich?« sagt er.
    Wir überlegen hin und her, bis wir erstaunlicherweise beim Thema Sport landen. Ich beginne ein einjähriges Projekt darüber, wie Football in Amerika zu etwas Rituellem wurde, fast eine Religion, ein Opiat für die Massen. Ich habe keine Ahnung, daß dies ein Training für meine zukünftige Karriere ist. Ich weiß nur, daß mir das weiterhin einmal in der Woche zu einer Sitzung mit Morrie verhilft.
    Und mit seiner Hilfe habe ich bis zum Frühling eine wissenschaftliche Arbeit geschrieben, einhundertzwölf Seiten stark, gut recherchiert, mit Fußnoten versehen, dokumentiert und ordentlich in schwarzes Leder gebunden. Ich zeige sie Morrie mit dem Stolz eines Little Leager, der bei seinem ersten Homerun einen Treffer landet.
    »Herzlichen Glückwunsch«, sagt Morrie. Ich grinse, als er die
Arbeit durchblättert, und schaue mich in seinem Büro um. Die Bücherborde, der Hartholzboden, der Teppich, die Couch. Ich denke, daß ich in diesem Raum überall gesessen habe, wo man überhaupt sitzen kann.
    »Ich weiß nicht, Mitch«, sagt Morrie nachdenklich und rückt seine Brille zurecht, während er liest, »mit einer Arbeit wie dieser müssen wir dich vielleicht hierbehalten, damit du deinen Magister machen kannst.«
    »Ja, in Ordnung«, sage ich.
    Ich kichere, aber die Idee erscheint mir im Augenblick reizvoll. Ein Teil von mir hat Angst davor, das College zu verlassen. Ein Teil von mir möchte unbedingt gehen. Spannung zwischen den Gegensätzen. Ich beobachte Morrie, während er liest, und frage mich, wie die große weite Welt da draußen wohl sein wird.



Die Fernsehaufnahmen II
    In der »Nightline«- Show sollte ein Fortsetzungsbericht über Morrie gesendet werden, weil die

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