Dienstanweisungen für einen Unterteufel
sie glauben, sie hätten durch die Liebe alle jene Probleme gelöst, die sie in Wirklichkeit unter dem Einfluß ihrer Erregung entweder auf die Seite geschoben oder zurückgestellt haben. Solange diese Erregung währt, hast Du Gelegenheit, die Probleme insgeheim zu schüren und chronisch werden zu lassen.
Das prächtigste dieser Probleme ist das der „Selbstlosigkeit“. Beachte wieder einmal die bewundernswerte Leistung unserer philologischen Abteilung, die die positive christliche Nächstenliebe durch die negative Selbstlosigkeit ersetzt. Dank dieser Arbeit ist es Dir ohne weiteres möglich, Menschen zu lehren, Vorteile aufzugeben, nicht um andere dadurch glücklich zu machen, sondern um durch ihren Verzicht selbstlos zu erscheinen. Damit ist schon viel gewonnen. Wo es sich um Mann und Frau handelt, ist das verschiedene Verständnis der Selbstlosigkeit, das wir zwischen den Geschlechtern aufgerichtet haben, eine große Hilfe. Eine Frau versteht unter der Selbstlosigkeit hauptsächlich: sich um anderer willen zu mühen; ein Mann versteht darunter: andere nicht zu bemühen. Daraus ergibt sich, daß eine Frau, die im Dienst des Feindes schon ziemlich weit vorangeschritten ist, anderen in viel größerem Umfang lästig fallen kann als irgendein Mann, mit Ausnahme jener, die von Unserem Vater völlig beherrscht werden. Umgekehrt kann ein Mann lange Zeit im Lager des Feindes zubringen, ehe er freiwillig anderen zu Gefallen nur so viel unternimmt, wie eine ganz gewöhnliche Frau täglich tut. Dadurch also, daß die Frau nur daran denkt, Gutes zu tun, und der Mann, die Rechte der andern zu respektieren, wird jedes Geschlecht das andere ohne jeden sichtlichen Grund als durch und durch selbstsüchtig ansehen.
Zu all diesen bestehenden Verwirrungen kannst Du nun noch mehr hinzufügen. Die erotische Erregung schafft eine gegenseitige Willfährigkeit, in der jedes tatsächlich erfreut ist, den Wünschen des andern nachzugeben. Sie sind sich auch bewußt, daß der Feind von ihnen einen Grad christlicher Nächstenliebe verlangt, der sie, wenn sie ihn erreicht hätten, ähnlich handeln ließe. Erreiche es, daß sie den Grad der gegenseitigen Hingabe, der im Augenblick natürlicherweise ihrer Verzauberung entspringt, als Gesetz für ihr ganzes Eheleben aufstellen, jedoch so, daß, wenn diese Erregung einmal geschwunden ist, sie nicht genügend echte christliche Liebe besitzen, um diesem Gesetz weiter zu folgen. Sie werden die Falle nicht entdecken, da sie unter einer zwiefältigen Blindheit leiden: Sie verwechseln die erotische Erregung mit der christlichen Nächstenliebe – und glauben, sie sei beständig.
Ist einmal so eine Art offizieller, gesetzlicher oder auch angeblicher Selbstlosigkeit zur Regel geworden, die aufrechterhalten soll, was die erotischen Gefühle nicht mehr und die noch nicht stark genug gewordenen geistigen Hilfsquellen noch nicht leisten, dann ergeben sich die allererfreulichsten Resultate. Besprechen sie irgendein gemeinsames Vorhaben, dann erscheint es pflichtgemäß, daß „A“ zugunsten der vermutlichen Wünsche von „B“ argumentiert, entgegen den eigenen Wünschen, während „B“ das Gegenteil zu tun hat. Oft genug ist es unmöglich, die wirklichen Wünsche jeder Partei ausfindig zu machen; geht es gut, dann endet es damit, daß sie etwas unternehmen, das keiner von beiden wünscht. Aber jeder fühlt in sich ein warmes Gefühl von Selbstgerechtigkeit, und jeder hegt in sich einen geheimen Anspruch auf eine bevorzugte Behandlung für seine Selbstlosigkeit und einen versteckten Groll gegen den anderen über die allzu selbstverständliche Art, in der das gebrachte Opfer angenommen wird. Später kannst Du es mit der sogenannten „Großmut-Konflikt-Illusion“ wagen. Dieses Spiel wird aber am besten mit mehr als zwei Teilnehmern, zum Beispiel in einer Familie mit erwachsenen Kindern, gespielt. Irgend etwas ganz Geringfügiges wird vorgeschlagen, wie den Nachmittagstee im Garten zu trinken. Einer aus der Familie gibt deutlich zu verstehen (allerdings nicht durch viele Worte), daß er lieber nicht hinausgehen würde, aber natürlich aus „Selbstlosigkeit“ bereit sei, sich dem Wunsche der andern zu fügen. Die andern ziehen sogleich ihren Vorschlag zurück, scheinbar aus „Selbstlosigkeit“, in Wirklichkeit aber darum, weil sie sich nicht als eine Art Strohpuppe gebrauchen lassen wollen, an der der erste Sprecher seine kleinliche Uneigennützigkeit betätigen kann. Er aber ist ganz und gar nicht
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