Dienstanweisungen für einen Unterteufel
und das Verlangen nach dem Neuen erzeugt daher entweder Habsucht oder Unglück oder auch beides. Und wiederum: Je ungezügelter dieses Verlangen wird, um so schneller muß es alle Quellen unschuldiger Freude aufsaugen, um dann weiterzuschreiten zu jenen Vergnügen, die der Feind untersagt. Indem wir so den Schrecken vor „immer denselben alten Dingen“ anfachten, war es uns zum Beispiel vor kurzem möglich, die Kunst für uns weniger gefährlich zu machen, als sie es je gewesen ist. Die unbedeutenden sowohl wie die begabtesten Künstler werden heute täglich in neue und immer neue Auswüchse der Wollust, der Vernunftlosigkeit, der Grausamkeit und des Hochmutes hineingezogen. Und schließlich ist für uns das Verlangen nach dem Neuesten unentbehrlich, wollen wir Moden und „Trends“ schaffen.
Die Modeströmungen des Denkens benützen wir, um die Aufmerksamkeit der Menschen von den ihnen wirklich drohenden Gefahren abzulenken. Wir richten den modernen Entrüstungsschrei in jeder Generation gegen jene Laster, von denen sie am allerwenigsten zu fürchten hat. Dafür fixieren wir ihre Zustimmung auf jene Tugend, die dem Laster, dem wir die Vorherrschaft geben möchten, am nächsten liegt. Das Spiel besteht darin, alle mit Feuerlöschern umherjagen zu lassen, wenn in Wirklichkeit eine Überschwemmung hereinbricht, oder alle auf jene Seite des Schiffes drängen zu heißen, die schon Dollbord unter Wasser ist. So machen wir es „modern“, die Gefahren des Schwärmertums in dem Augenblick herauszustreichen, wenn alle in Wirklichkeit weltlich und gleichgültig werden. Ein Jahrhundert später, wenn wir aus allen von Gefühlen berauschte Romantiker gemacht haben, richtet sich der moderne Entrüstungsschrei gegen die Gefahr des bloß „Verstandesmäßigen“. Zeiten der Grausamkeit warnen wir vor Sentimentalität, Zeiten der Weichlichkeit und des Müßigganges vor bürgerlicher Ehrbarkeit, Perioden der Geilheit vor dem Puritanismus. Und sooft die Menschen sich beeilen, Sklaven oder Tyrannen zu werden, machen wir den Liberalismus zum Hauptsündenbock.
Aber der größte Triumph in diesem ganzen Unternehmen ist die Erhebung dieses Schreckens vor „immer denselben alten Dingen“ zu einer Philosophie, so daß intellektueller Unsinn die Verderbnis des Willens noch verstärkt. Hier nun erweist sich der allgemein verbreitete evolutionistische oder historische Charakter des modernen europäischen Denkens (zum guten Teil unser Werk) als überaus nützlich. Der Feind liebt Plattheiten. Er verlangt Menschen, die, soweit ich das zu erkennen vermag, an ein Vorhaben sehr einfache Fragen stellen wie: Ist es gerecht? Ist es klug? Ist es möglich? – Gelingt es uns nun, die Menschen statt dessen fragen zu lassen: Ist es in Übereinstimmung mit dem allgemeinen Zug unserer Zeit? Ist es fortschrittlich oder reaktionär? Bewegt sich die Geschichte in dieser Richtung? – dann werden sie die eigentlichen Fragen vernachlässigen, und die Fragen, die sie stellen, sind natürlich unbeantwortbar, denn sie kennen ja die Zukunft nicht. Was aber die Zukunft sein wird, hängt in der Hauptsache gerade von den Entscheidungen ab, die fällen zu helfen sie die Zukunft anrufen. Dadurch daß sie ihre Gedanken in diesem luftleeren Raum umherschwirren lassen, geben sie uns die beste Gelegenheit, uns einzumischen und sie zu der Handlungsweise zu veranlassen, die wir für sie entschieden haben. In dieser Beziehung ist schon viel geleistet worden. Es gab eine Zeit, da wußten sie, daß gewisse Änderungen zum Besseren, andere zum Schlimmeren führen und wieder andere gleichgültig sind. Wir haben ihnen dieses Wissen zum guten Teil geraubt. An die Stelle des beschreibenden Eigenschaftswortes „unverändert“ haben wir das gefühlsmäßige Adjektiv „stagnierend“ gesetzt. Wir lehrten sie, die Zukunft als ein verheißenes Land anzusehen, das nur begünstigte Helden erreichen, niemals aber als etwas, das jeder, möge er sein oder tun, was er wolle, mit der Geschwindigkeit von sechzig Minuten in der Stunde erreicht.
Dein Dich liebender Oheim
Screwtape
XXVI
Mein lieber Wormwood,
Ja gewiß, die Verlobungszeit ist die beste Gelegenheit, jenen Samen auszustreuen, der sich zehn Jahre später zur häuslichen Zwietracht auswachsen wird. Ungestillte Wünsche rufen einen Zustand der Verzauberung hervor, dessen Auswirkungen die Menschen leicht als das Ergebnis der christlichen Nächstenliebe mißverstehen. Nütze den Doppelsinn in dem Wort „Liebe“ aus. Lasse
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