Dies beschissen schöne Leben: Geschichten eines Davongekommenen (German Edition)
die folternde Wirklichkeit. Und das Wissen, dass ich das alles aushalten musste, wenn ich irgendwann geheilt davonkommen wollte.
Bald traf der nächste Adrenalinschub ein. Weil Celeste im Schlafzimmer auf dem Bett lag und ich hinter verschlossener Badezimmertür heimlich wie ein Junkie die Nadel und die Einstichstelle mit einem alkoholgetränkten Wattebausch desinfizierte, dann das Icavex aus dem Flakon in die Spritze absaugte und – schier unvorstellbar – zustach und abdrückte.
Das Ergebnis war ein Desaster. Jeder Schuss in einer Frankfurter Bahnhofstoilette hätte wohligere Zustände verströmt als mein erster Selbstversuch. Eine kurze, schon nach Minuten verwitternde Erektion kam zum Vorschein. Begleitet von Kopfweh, Hitzewellen und einer gehörigen Depression. Wieder musste ich mich davonreden, wieder dieser schönen, zu allen sinnlichen Tagträumen bereiten Frau eine von hundert Lügen verseuchte Geschichte einreden. Sie liebte mich tatsächlich und tat, als glaubte sie alles.
Der Doktor versuchte mich zu beruhigen. Die unguten Folgen hätten nichts mit meiner linkischen Begabung im Umgang mit Nadeln zu tun. Der innere und äußere Stress, die Erwartungshaltung, die Furcht, kein vorzeigbares Resultat zu produzieren, all das sei zu belastend geworden. Was jede Lustentwicklung – selbst wenn hochwissenschaftlich unterstützt – verhindere.
Der Mann hatte recht. Ich wartete zu dringlich. Denn auch die folgenden Injektionen, nun talentierter vorgenommen, führten kein einziges Mal zu einem kerzengeraden, randvoll mit Blut geladenen penis erectus .
Ich spürte, dass ich so nicht vom Fleck kam. Eine Angst erstickte die andere. Kein Männerglied der Welt will sich unter solchen Umständen erheben. Arztrechnungen en masse, Apothekerrechnungen en masse, Spritzen en masse, Erektionen en détail, nein, zéro. Von einer strahlenden Libido schien ich Milchstraßen entfernt.
Ich suchte woanders. Sicher saß die Blockade in meiner Seele. Auf meinem langen Marsch durch ein halbes Dutzend Sprechzimmer begegnete ich auch Samuel S ., Hypnotiseur von Beruf. Er wollte mich potent-hypnotisieren, mir wieder ein kraftstrotzendes Glied zaubern. Ein seriöser Zauberer, denn er verwies auf die lange, kostspielige Prozedur seiner Therapie. Wo nahm der Mann die Nerven her? Ich winkte ab. Ich brauchte ein Mirakel und keine langfristigen Projekte.
Ich traf zwei Psychologen, die sich die rührige Mühe aufhalsten, nach meinen frühesten Albträumen zu fahnden. Ich verließ sie, wollte nichts wissen von den Anfängen meines Lebens und seinen ersten Katastrophen. Ich brauchte keine hirnlastigen Erklärungen, ich wollte meinen Schwanz wiederhaben, wollte wieder Mann sein und glorreicher Liebhaber, wollte die Frau lieben, die endlich angefangen hatte, sich – mit allem Ihrem – nach mir zu sehnen.
Ich suchte. Suchte solange, bis ich Dr. Edouard A . fand, Sexologe undPsychotherapeut. Ein halbes Genie, hieß es, ohne Schonung für die Schmerzgrenzen seiner Patienten. Wie wahr. Er stocherte nicht in meiner Kindheit, fragte mit keinem Wort nach Vater und Mutter, überflog nur kurz die mitgebrachten Befunde und hörte konzentriert hin, als ich ihm von Celeste und mir erzählte. Dann holte er einen Rechnungsblock hervor und schrieb einen rasanten Betrag auf, nahm meinen Scheck, begleitete mich zur Tür und sagte eher beiläufig und nonchalant: »Ich kann leider nicht viel für Sie tun, denn Ihnen fehlt nichts.« Doktor A . schien solche Auftritte zu genießen. Als er mein erstauntes, ja verzweifeltes Gesicht sah, fügte er noch hinzu: »Ach ja, trennen Sie sich von dieser Frau. Sie taugen nicht für diese Art Beziehung.«
Nein, ich war nicht überrascht, nicht mehr, nicht wirklich. Wenn ich tapfer in mich hineinhörte, sogar erleichtert. Wie wahr der Alte redete. Er sprach nur deutlich aus, was mir eine innere Stimme schon seit geraumer Zeit zuflüsterte: Celeste war die bereicherndste Frau, die ich je getroffen hatte. Und gerade sie ruinierte auf unaufhaltsame Weise mein Leben. Weil ich bei jeder ihrer Zauderlichkeiten im Fegefeuer nervenschindender Selbstzweifel schmorte. Weil mich – in extremis – der Gedanke kujonierte, dass sie mich eines Tages verlassen könnte und von mir nichts bliebe als ein nasser, einsamer Furz. Für die verheerenden Wohltaten und Nebenwirkungen der Liebe war ich zu schwach. Ich schrumpfte, wortwörtlich, in ihrer Nähe.
Ich suchte nicht weiter nach den Triebfedern meiner Ängste, sicher
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