Dies beschissen schöne Leben: Geschichten eines Davongekommenen (German Edition)
nach dem Rennen einen Preis zu gewinnen. Andenken an die immer zum Neujahrsfest stattfindenden Aids-Olympics . Die brutale Ironie funktioniert nur, weil die Idee zu den makabren Spielen aus den eigenen Reihen kam. Absurdes Theater als Sterbehilfe, als rabiates Mittel, die eigene Todesangst zu schwächen. Um nicht irre zu werden bei dem Gedanken an ein nahes Ende.
Noch immer scheint der Ort wie unter Quarantäne zu stehen, noch immer gelten nicht die Faustregeln des Neoliberalismus, noch immer bleiben die Aufrufe zu Habgier und Protz außer Kraft.
Die Tage vergehen. Am zehnten bin ich zweieinhalb Kilo leichter, die Hitze, die Schweißströme, der permanente Anblick von denen, die achtundvierzig Stunden lang abkratzen, bevor sie sterben dürfen. Meine Haut bedecken rote und weiße Pusteln, die Krätze plagt, ein gemeiner Juckreiz nervt. Das sind die Momente, in denen ich verstohlen zu Mali blicke. Um Beharrlichkeit zu bewundern. Weil sich die Japanerin mit unfehlbarer Aufmerksamkeit um die spindeldürren, wie von rissigem Pergamentpapier überzogenen Extremitäten der Kranken kümmert. Sie ist »da«, vollkommen anwesend.
Teil der Politik des Hauses ist auch, dass Besucher aus ganz Thailand durch das Krankenhaus geführt werden. Der Schock soll aufwecken, die gräulichen Bilder sollen zu einem anderen Verhalten motivieren. Viele Soldaten befinden sich unter den Neugierigen, gut so, dieser Berufsstand gilt als besonders zutraulich zu Prostituierten. Und als besonders heldenhaft ignorant beim Verweigern entsprechender Schutzmaßnahmen.
Eines Tages kommt es zum Eklat. Eine Gruppe amerikanischer Baptisten geht durch die Reihen. Vor Chatree bleiben sie stehen. Ich nähere mich diskret und beobachte den Chef der Truppe, wie er auf den Dämmernden einredet. Sofort fällt die ölige Selbstgefälligkeit auf, mit der jene sich gebärden, die täglich mit Gott verkehren. Die Prediger gehören zu dem immer wieder auftauchenden Missionarsgesindel, das sich hier über die Malträtierten beugt und fragt: »Hast du schon mal von Jesus Christus reden gehört?« Man weiß nicht, was schwerer wiegt: ihr Idiotismus oder ihre Erbarmungslosigkeit. Da mag einer aus dem letzten Loch ächzen, sie, die Großgrundbesitzer ewiger Wahrheiten, umzingeln sein Bett und schwadronieren (auf Englisch!) von ihrem Wunderheiler, dem »Gottessohn vom Heiligen Land«.
Ich bin froh, dass ich diesmal Zeuge bin. Ich verweise die Wichtigtuer auf die Statuten, wiederhole wörtlich den Passus – »Respektiere den Glauben jedes Patienten, jeder Versuch, ihn zu ändern, ist untersagt« – und kündige an, sogleich die Klosterleitung zu informieren, sollte der Schwachsinn nicht augenblicklich aufhören. Sie trollen sich. Man kann nur mit Genugtuung zur Kenntnis nehmen, dass alle Versuche christlicher Rechthaber, ihre allein selig machenden Weisheiten den Thais einzubläuen, von gleichbleibend geringem Erfolg begleitet werden.
Ein belgischer Arzt arbeitet in Prabat Nampu , seit über zwei Jahren. Warum er durchhält? Ohne Gehalt, ohne Absicherung? Yves bleibt vage, erwähnt sein nagendes Gewissen, weiß, dass es keinen Vorgänger gab und so bald keinen Nachfolger geben wird. So mancher kam, um nach kurzer Zeit wieder abzurauschen. Ärzte wollen Leben retten, nicht ihren Patienten beim Sterben zuschauen. Der 45-Jährige kann auf eine Tuberkulose und schwere Melancholie-Schübe zurückblicken. Er nimmt Prozac . Die Arbeit hier fordert und wirkt zu gleicher Zeit, so meint er wörtlich, »wie ein High«: Weil sie zu innigsten Empfindungen führt. Weil Einsichten auf einen warten, denen man sonst nirgendwo begegnen würde. Hier passiert das Gegenteil von virtuell, von spaßig, von lauwarm.
Yves verabreicht Antibiotika, bekämpft mit den vorhandenen Mitteln die sogenannten »opportunistischen Infektionen«, die über den immunschwachen Körper herfallen. Droht jemand vor Schmerz in den Irrsinn zu gehen, verabreicht er heimlich ein Morphiumzäpfchen. Wenn vorhanden. Heimlich, da das Hospiz kein Krankenhaus ist, somit die Lizenz für schwere Betäubungsmittel fehlt. Der Arzt lobt die holländischen und deutschen Freiwilligen, die ihn – auch still und unauffällig – mit dem Medikament versorgen.
Der Arzt hat Erfahrung, oft sieht er, wenn es zu Ende geht. Eines Vormittags holt er mich an ein Bett und bittet, »die Sterbende zu begleiten«. Auch das hier eiserne Grundregel: Keiner soll allein sein beim Weggehen. Ganz praktisch: einfach dasitzen, die Hand nehmen
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