Dies beschissen schöne Leben: Geschichten eines Davongekommenen (German Edition)
den Kindsretter nicht ernst. Als ich französisch näselnd nach dem Küchenfenster fragte, hüpfte Celeste bereits von einem Bein auf das andere, vor Freude über meine Idee und die Tatsache, dass sie das Manöver längst durchschaut hatte. Aber sie hatte mich gewähren lassen, weil sie wieder Sehnsucht nach romantischem Hokuspokus verspürte und weil sie begriff, dass eine Entscheidung ausstand, zu der sie kein Grübeln und Sinnen führen würde.
Die nächsten zwei Wochen wurden unsere besten Tage und Nächte. Nun hielt ich die andere Hälfte ihres Betts besetzt. Und ich war intelligent genug, den Fotografen vergessen zu machen und Celeste zur fröhlichen Hingabe zu bewegen. Wenn ich bedenke, wie linkisch er ihrem Körper begegnete, dann konnte alles nur lustiger, nur lustvoller werden. Jedes unserer Kommunikationsmittel – die Blicke, die Sprache, die so neugierigen Leiber – lief zur Hochform auf. Irgendwann, ich glaube, es war frühmorgens nach der fünften oder sechsten Nacht, begann Celeste zu straucheln und sagte den unheimlichen Satz: »Ich liebe dich«. Als sie ihn in den nächsten Tagen wiederholte, im schlichtesten Tonfall der Welt bestätigte, was so umwerfend überraschend klang aus ihrem Mund, war ich überzeugt, dass ich gewonnen hatte.
Es war das letzte Mal, dass ich mich täuschte.
Die sonderbarsten Dinge passierten nun. Nicht umgehend, aber Schritt für Schritt. Wie ein bedächtig wirkendes Gift krochen diese drei Worte in mein Unterbewusstes. Schon sensationell. Nachdem ich das Ergreifendste gehört hatte, was ein Mensch hören kann, fing ich an abzusteigen. In den kommenden Monaten verschwanden mein Appetit, meine Libido, meine Freude am Leben, ja, der Drang zu schreiben. Ich welkte, an allen Fronten.
Während einer Konversationsstunde mit meiner Spanischlehrerin verstummte ich mittendrin, so heimgesucht von dem Gedanken, dass meine Angst vor der Liebe größer war als mein Verlangen nach ihr. Zwanzig Minuten lang schaffte ich kein Wort, in keiner Sprache. Dann erinnerte ich mich, noch immer still, noch immer sprachlos, an einen Satz Petrarcas, den ich vor langer Zeit auf Englisch gelesen hatte: »Love is riding on the horse of death«, Liebe reitet auf dem Pferd des Todes. Damals, als ich das zum ersten Mal las, gefiel mir die Schönheit der Metapher, jetzt – idiotenstumm neben der ratlosen Señora Gonzales – hatte ich ihn begriffen.
Die Erinnerungen überschlugen sich, ich wusste plötzlich, dass ich drei Mal in meinem Leben durch zähe Todesängste gegangen war. Einmal bei meiner Geburt. Einmal während eines LSD -Horrortrips. Einmal während einer Zen-Meditation in einem japanischen Kloster. Und ein viertes Mal nun: Beim Näherrücken dieses radikal erkämpften Ziels fürchtete ich, von den beiden, der Liebe und der Frau, vernichtet zu werden. In Momenten äußerster Hingabe schleuderte ich vom Pferd, erwies mich als zu mutlos für die Zumutungen so intimer, so fürchterlich naher Gefühle.
Es verging keine Nacht, in der ich nicht mehrmals schweißgebadet aufwachte. Jeden Morgen musste ich mich treten, fehlte doch der Schwung, um einen ganzen Tag auszuhalten. Ich sagte Aufträge ab, brauchte alle restliche Kraft, um die dringendsten Handgriffe zu bewerkstelligen. Ich beobachtete mich, wie ich regungslos auf mein Leben stierte und es nicht mehr leben konnte.
Mit letzter Disziplin und hundert Notlügen versuchte ich, meine Abstürze vor Celeste zu verbergen. Augenblicke bestialischer Demütigung harrten meiner, als ich jetzt neben ihrem schwindelerregenden Schoß lag und nicht mehr fähig war, ihn mit allen mir sonst so selbstverständlich zur Verfügung stehenden Körperteilen zu lieben. Einmal war genügend Courage vorhanden und ich schrieb es hin, das grausige Wort: Impotenz . Die Aussicht auf Liebe machte mich, wie unübersehbar, impotent, kraftlos, kaputt. Jetzt hatte ich begriffen. Jetzt begann der nächste Abstieg.
Ich begann eine »high power proteine«-Diät. Nach ein paar Wochen war klar: Hätte ich Gras gefressen, das Ergebnis wäre nicht schlechter ausgefallen. Von Power und High nicht die Spur. Andere Geschütze mussten her. In den Gelben Seiten fand ich den Urologen und »Männerarzt« Patrick D . Fünf Tage lang ließ ich die Telefonnummer liegen, pure Hemmung, dann rief ich an. Ich drängte, achtundvierzig Stunden später saß ich mit heruntergelassener Hose vor ihm. Ein gründlicher Mensch. In den verschiedensten Körperhaltungen musste ich die einfachsten
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