Dies beschissen schöne Leben: Geschichten eines Davongekommenen (German Edition)
trug auch der Terror bei meiner Geburt Schuld daran. Aber das ist eine andere Geschichte. Rechtzeitig erinnerte ich mich an einen Satz von Gottfried Benn, dass eben »der zugrunde geht, der zu den Gründen geht«. Ich war nun überzeugt, dass es überhaupt keine Rolle spielte, zu wissen, warum mich die Nähe zu Celeste in solch todesangstnahe Strudel riss. Ob die Taten meiner Mutter im Wochenbett? Ob ein psychotisch missratener Vater? Ob eine ausstehende Rechnung des Karmas? Wie belanglos. Wüsste ich es, wer könnte sie begleichen? Aber ich wusste, dass ich so nicht existieren wollte. Dass ich stark sein wollte und strahlend und frei. Nicht hilflos, nicht verdämmernd, nicht verfügbar.
Ein letztes Mal saßen Celeste und ich in einem Flugzeug. Und ich verließ sie, irgendwo über dem Atlantik. Kein Ort schien mir sicherer für eine solche Zeremonie. Ich übernahm diesen Part, spielte den Verlasser und Bösen. Weil Celeste noch immer auf ein unbeschreibliches Wunder hoffte. Ich solle auf sie warten, sagte sie. Mein Kopf hätte das vielleicht geschafft, nicht mein Leib. Der Gedanke an meine Impotenz und die Sehnsucht, wieder ein Mann zu sein, sie waren drängender als alles andere. Ich erkannte, dass ich für die großen Projekte in diesem Leben nicht gerüstet war. Ewige Liebe und andere Ewigkeiten ließen mich ganz offensichtlich verkümmern. So war das Fairste, was ich Celeste bieten konnte, eine radikale Trennung. Am Flughafen in Paris teilten wir uns noch das Taxi. Auf meinem Fahrrad (von ihr zu mir) saß ich schon allein. Alles war schlagartig zu Ende, das Bettgeflüster, die Ritterspiele, die Berührungen.
Ein (fröhliches) Nachwort: Die Zukunft wurde so anders als befürchtet. Diese kaputtgegangene Liebesgeschichte zeitigte bald die wunderbarsten Folgen. Denn keine mürrische Einsamkeit, kein nagendes Gefühl des Scheiterns, keine weiteren Verlustmeldungen meines Geschlechts warteten auf mich. Jetzt, weit weg von der Gefahr zu versagen, fing ich von Neuem zu blühen an. »Und sein Busen sprang auf vor Freude«, so hatte mein Griechischlehrer einmal eine Stelle aus der Ilias übersetzt. Ich hatte mir diesen Satz aufgeschrieben, schon vor langer Zeit hoffend, dass er eines Tages zu mir passen würde. Jetzt passte er. Ich akzeptierte, dass ich verloren hatte und dass ein anderes Schicksal auf mich wartete als das eines großen Liebenden. Ein nachsichtigeres, amüsanteres, eines, das Platz ließ für mehrere Träume.
Wochen später traf ich wieder eine Frau. Das Gegenteil von Celeste. Schon formschön, schon gescheit. Aber eher leichtsinnig, immer im Augenblick, uns nie mit Zukunft und Ausschließlichkeit belastend. So kam alles zu mir zurück, mein Hunger, meine Begeisterung, meine eigene Leichtsinnigkeit. Und die Fähigkeit, ein Mann zu sein. Amre war Algerierin mit französischem Pass. Sie fand alles schön an mir und bat nie, es für immer haben zu wollen.
Nur ein Mann, der in vielen Nächten den hundsföttischen Schmerz erotischer Leblosigkeit erfahren hat, kann die Dankbarkeit einer Frau gegenüber ahnen, die ihm auf schwerelose Art all das Seine zurückgab. Amre war weise. Meine dunklen Schatten übersprang sie. Sie nahm nur das Beste, was ich zu bieten hatte: meine Liebe zum Leben.
DER CLOU
Von Anfang an schien mein Leben entstellt. Von Geldnot. Nicht wegen Trägheit oder Verschwendungssucht. Eher aus Unbegabung, mit dem Phänomen umzugehen. Auch diese Reise nach Korsika wäre nicht möglich gewesen ohne das Vertrauen der Freunde: Sie strecken vor, ich zahle zurück. Wie üblich.
Seltsam, aber sobald ich auf Pump lebe, werde ich einfallsreich. Entdecke irgendwo liegengebliebene Scheine, finde ein längst vergessenes Sparbuch, bekomme das Herz frei, um mich von Dingen zu trennen, die mir bisher unverkäuflich schienen. Reaktiviere – wenn Glück und Zufall nicht mehr aushelfen – ein gewisses Talent für kriminelle Unternehmungen.
Wie jetzt auf Korsika. Die Ferientage nähern sich ihrem Ende. Gold und Edelstein habe ich nicht gefunden, aber die Schönheit der Welt. Alles beschwingte, nur Ratten und Polizisten störten, denn beide trieben mich aus verborgenen Ecken. Die einen trieb der Hunger, die anderen ihre Vorschriften: Wildes Campen und Nacktbaden waren strikt verboten. Einmal wurde ich ermahnt, einmal musste ich zahlen. Bußgeld wegen Nacktheit! In einer menschenleeren Bucht!
Nun stimuliert gerade dieser Vorgang – das Aushändigen von Geld an einen Ordnungshüter – enorm, treibt die
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