Dies beschissen schöne Leben: Geschichten eines Davongekommenen (German Edition)
Satz – »wie verführe ich sie …« – in meinem Kopf zu Ende formuliere, vernehme ich einen lässigen Männerpfiff. Ich sehe einen Halbwüchsigen, der einem attraktiven Mädchen hinterherpfeift. Dieser Vorgang fährt wie ein Blitz in meine Großhirnrinde. Das ist es, das ist die Antwort: das ewig gleiche Spiel zwischen Mann und Frau. Denn die Frau verwirrt, erregt, verführt . Nun verstehe ich auch, warum diese Mehlsäcke so larmoyant auf mich reagierten. Ich war ja nur Mann, wie langweilig, wie ermüdend. Niemand, der ihr graues Leben bereichert und bunt färbt.
Ich springe auf und fahre zurück in die Stadt. Der Plan steht: Den kostspieligen Übersetzer – noch ein Mann, noch frustrierender – vergessen und nach einer Frau fahnden, die schön ist und hilfsbereit und über ausführliche Französischkenntnisse verfügt. Mit diesem Engel werde ich aufkreuzen und mit ihm werde ich gewinnen.
Doch die Fahndung birgt Mühe, der Steckbrief ist anspruchsvoll. Attraktiv, heiter und zweisprachig soll der Mensch sein. Dazu kommt, dass ich unter Zeitdruck stehe. Denn die meisten Frauen, die ich anspreche, haben alles. Nur keine Ahnung von deutscher Sprache. Manche sind abweisend, interpretieren mein Gesuch als gerissene Anmache. Andere hören das Wort »police« und lassen mich stehen.
Bis ich Glück habe, zweifach Glück. Die beiden Freundinnen Sandra und Lissy hören ergriffen von meinem Verhängnis und sagen spontan zu, auf Deutsch. Zwei frische Mädels aus Zürich, die fließend französisch sprudeln. Blond und brasilienbraun, ein Traumpaar. Wie zwei Königinnen chauffiere ich sie pünktlich zur Nobelvilla.
14.07 Uhr und alles ist anders. Aus sechs Mehlsäcken wird ein halbes Dutzend toupierter Gockel, die um die Wette balzen. Kaffee wird gekocht, Zigaretten werden gereicht, kühle Drinks geboten. Der Chef, der Obergockel, muss jemanden zum Kuchenkaufen abkommandieren, da sich kein Freiwilliger meldet. Die Faultiere sprühen, ihre Haut beginnt zu schimmern, ihre stillgelegten Herzen springen wieder an. Und die Mädchen machen mit. Gewitzt und großzügig lassen sie sich bedienen, schäkern, flirten, lachen, wissen wie alle schönen Geschöpfe, wie nachdrücklich sie imponieren.
Wir spielen eine Kriminalgroteske, in der ich – wie erhofft – die Rolle des Souffleurs übernehme. Bescheiden zerknittert sitze ich etwas abseits und liefere die Stichwörter, die – französisch übersetzt – mittels Schreibmaschine auf dem inständig verlangten Blatt Papier landen. Doch das dauert. Kaum erwähne ich eine (angeblich) geklaute Yashica 124G , schon weiß einer der Herren ein vermeintlich fürchterlich aufregendes Abenteuer zu erzählen, in dem durchaus nebensächlich ein Fotoapparat vorkommt. Dann wildes Gelächter, Geschirrklappern, die dritte Tasse Kaffee. Als ich Trainingsanzug und Walkman zum Verlust anmelde, handeln die nächsten Geschichten von Trainingsanzügen und Walkmen.
So verstreichen mehrmals zehn Minuten, in denen ich nicht auftrete. Doch ich bleibe diszipliniert verdrießlich. Nur ab und zu ein gequältes Lächeln, mit dem ich kleinlaut bitte, doch fortzufahren mit der Protokollaufnahme. Besäße ich doch nichts mehr und müsste folglich so schnell wie möglich nach Hause. Das leuchtet ein, die Geschichten werden kürzer, die Liste mit dem »Diebesgut« immer länger. Eineinhalb Stunden später übergibt mir Monsieur le Chef freudestrahlend die déclaration de perte . Das ist mit Abstand der schwierigste Augenblick. Meine Knie schwimmen, ich würge. Mich überkommt inmitten dieser liebenswerten Schafsköpfe die so teuflische Lust auf einen Veitstanz, sodass ich nur unter Aufbietung letzter Reserven Benehmen und Reserviertheit bewahre.
Die Mädchen nehme ich wieder mit. In mir nicht das leiseste Gefühl, etwas Schändliches getan zu haben. Im Gegenteil, neunzig Minuten lang kamen Wohlgeruch, Schönheit und Lebenslust in diesen Bürokratenstall.
Wir fahren zurück ins Zentrum und ich lade zum großen Eisschlecken. Kleine Dankbarkeit für den souveränen Auftritt. Aber ich halte den Mund, nur jetzt kein protziges Geschwätz. Auch für die beiden bleibe ich das arme geplünderte Schwein. Der Abschied fällt nicht leicht, die beiden verbreiteten viel Freude. Aber ich muss weg, ich darf keinen Argwohn erregen. Zudem drängen Termine, das Geld soll her.
Was wunderbar funktioniert. Ohne Einspruch von Seiten der Versicherung wird meine Lügengeschichte als Tatsachenbericht akzeptiert. Die
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