Dies beschissen schöne Leben: Geschichten eines Davongekommenen (German Edition)
Phantasie an, ja macht die Entscheidung unwiderruflich, diese Insel nicht ohne ungesetzliche Bereicherung zu verlassen. War ich vorher noch moralisch verunsichert, so fühlte ich mich nach dem Verlust der Scheine eher schuldlos und bester Dinge: Eine betrügerische Handlung wird nun stattfinden. Ich brüte ein paar Nachmittage, dann liegt alles in meinem Hirn bereit.
10.10 Uhr, Donnerstagmorgen. Ich checke aus, mein Gepäck bleibt im hübschen Solenzara, im Hotel. Nach einer knappen Stunde erreiche ich Porto Vecchio. Ich habe diese Stadt schon vor Tagen inspiziert und halte sie für den passenden Schauplatz. In der Rue Bongo, einer ruhigen Seitenstraße, parke ich den R4 (auch gepumpt). Das Schloss der Beifahrertür habe ich gestern präpariert, es lässt sich nun nicht mehr abschließen und macht den Eindruck, als sei es gewaltsam geöffnet worden. Das alles muss so sein, denn ich habe beschlossen, den Renault ausrauben zu lassen. Ist das geschehen, werde ich aufgrund einer schon vor Wochen unterschriebenen Reisegepäckversicherung zur Kasse bitten. So wäre das entscheidende Papier ein Protokoll der Polizei. Deshalb bin ich jetzt hier. Um etwas zu inszenieren, was nie stattgefunden hat: einen Diebstahl.
11.15 Uhr, ich verriegle die Fahrertür und mache mich auf den Weg. Offiziell bin ich im Augenblick ein harmloser Tourist, der sich Unterlagen über Stadt und Hinterland besorgt. Das Verkehrsbüro liegt in der Rue Jean Jaurès, ich benehme mich unauffällig, erhalte ein halbes Pfund Informationen, schlendere zurück zum Wagen. Sobald ich eingestiegen bin, bemerke ich die »Tat«: Die Reisetasche und der Lederkoffer – durch Hochklappen der Rückenlehne erreicht man den Kofferraum – sind verschwunden. Die Vorstellung beginnt, jetzt muss ich mich konzentrieren: Verstört und aufgeregt steige ich wieder aus und umkreise das Auto, entdecke die »aufgebrochene« Tür. Und empöre mich, zische ein paar halblaute Flüche, blicke wütend um mich. Nächster Schritt: hastiges Zugehen auf Passanten, Rückfragen, ob verdächtige Personen beobachtet wurden, wer hat wen in unmittelbarer Nähe meines Autos gesehen? Rien . Ich rede deutsch, englisch, Körpersprache und zwanzig Worte Französisch. Meine Hilflosigkeit wirkt vertrauenswürdig. Freundlich nehmen die Korsen Anteil an meinem Schicksal, inspizieren das kaputte Schloss, fluchen gemeinsam mit mir über das habgierige Gesindel.
»Allez au commissariat de police, Monsieur.« Den Dicken, der mir diesen Vorschlag so leutselig unterbreitet, hätte ich beinahe ausgelacht. Na klar, was sonst? Auf zur Polizei.
11.55 Uhr, die Gendarmerie belegt eine noble Villa, feiner Kiesweg, ein paar Herren dösen in der Mittagshitze. Mein Auftritt stimmt sie wehleidig, sie sind tranig und argwöhnisch. Ein Gepäckdiebstahl in der Rue Bongo? Am helllichten Tag? Très bizarre! Und ein Protokoll? Für was? Man würde ja sowieso nichts wiederfinden, wozu also? Außerdem sei jetzt Zeit zum Mittagessen. Heilige Zeit! Wenn es denn unbedingt sein müsse, könne ich ja später nochmals vorbeischauen, so um 14 Uhr, der Chef wäre dann auch da. Und einen Dolmetscher solle ich gleich mitbringen, denn niemand spräche hier Englisch. Désolé.
Die Sache stinkt. Hier wirtschaften ein paar widerborstige Faultiere, die mich als Unruhestifter betrachten. Kein Schimmer Mitgefühl, eher so ein gleichgültig ironischer Unterton. Ahnen die etwas? Sind solche Manöver, die ich hier veranstalte, an der Tagesordnung? Und der Chef? Wozu brauchen sie einen Chef, um ein Stück Papier vollzuschreiben? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass es mir nicht gefällt.
Der Dolmetscher ist natürlich eine Schikane. Mit ein wenig gutem Willen hätten unsere gemeinsamen Wörter ausgereicht. Nein, ein Experte muss her. Wo lebt so ein Mensch? Was kostet der? Ich frage mich, ob ich nicht besser gescheitert und pleite nach Deutschland zurückkehre, als ein Ding zu drehen, über das ich die Übersicht zu verlieren drohe. Ich fahre hinunter ans Meer, muss überlegen, immerhin habe ich zwei Stunden Bedenkzeit.
Das weite Wasser verschafft Klarheit. Ich werde einsichtig und begreife, dass ich keine Wahl habe: Ich brauche das Geld, basta. Und zwar rasch und elegant. Reinhauen und ausrauben ist nicht mein Stil, sprich, an den misslaunigen Schlafmützen komme ich nicht vorbei. Die Frage ist nur: Wie verführe ich sie zur Herausgabe eines fehlerlosen, einige tausend Mark wertvollen Protokolls?
Während ich diesen letzten
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