Dies beschissen schöne Leben: Geschichten eines Davongekommenen (German Edition)
mir körperliche Pein. Da ich nicht weiterleben konnte, ohne dieses Malheur aus der Welt geschafft zu haben, sammelte ich alle reparaturbedürftigen Exemplare ein und schleppte sie – waschkörbeweise, per Mietwagen und mit stechendem Rücken – zu einem Buchbinder.
Schwerste Fälle wuchtete ich zur Post, um sie zur Spezialbehandlung nach Deutschland zu schicken. Dort hatte ich eine Werkstatt ausfindig gemacht, die auf Hysteriker spezialisiert war. Wahre Buchbinder-Weltmeister, nie verweigerten sie ein Anliegen. Drei Truhen schickte ich an einen Spezialbetrieb in Leipzig, um die braun gewordenen Blätter Hunderter Folianten »entsäuern« zu lassen. Damit nicht irgendwann das Papier zerbröselte. Dass manche Reparatur fünfmal mehr kostete als eine Neuanschaffung, sei am Rande bemerkt. Aber viele Bücher waren vergriffen. Zudem wollte ich meine Anmerkungen retten. So schienen mir das viele Geld und der 1600 Kilometer lange Umweg allemal gerechtfertigt. Zuletzt: Ein neues Buch drohte ebenso schlampig geklebt oder gebunden zu sein wie jenes, das ich bereits besaß. Es genügte, wenn ich verfiel, meine Bücher sollten frisch aussehen und strahlen.
Die Narreteien hörten nicht auf. Eines Morgens wollte ich mir einbilden, dass jedes Buch einen Umschlag verlangte. Also orderte ich fünfzig Rollen speziell zu diesem Zweck vorgesehener Plastikfolie. Plus fünf Kilo weißer selbstklebender Streifen, um die Verbindung von Deckblatt und Bundsteg zu verstärken. Plus zwei Quadratmeter Schmirgelpapier, um die dunkel gewordenen Seitenränder wieder hell zu polieren. Und ich gab eine Annonce auf, ein geschickter Arbeitsloser sollte mich kontaktieren. Um mitzuhelfen beim Einbinden der Tausende von Buchdeckeln. Und beim Kleben der Streifen. Und beim Schmirgeln der Flecken. Der Mann kam. Und wir banden und klebten und schmirgelten, einundfünfzig halbe Nächte lang. Ach ja, gestempelt wurde auch: » Exlibris Andreas Altmann« , das musste ebenfalls sein. In jedem Buch, ganz vorne.
Kaum trafen die Kisten mit den reparierten Bänden ein und kaum war die 51. Nacht vorüber, schlug mein Kismet wieder zu. Undenkbar, die jetzt so gut aussehenden Bücher auf ein abgewetztes Bücherregal zurückkehren zu lassen. Ich hörte sie nach einem neuen Modell rufen. Dass ein auf rumänischen Gefängnishöfen gekleistertes Ikea-Gestell dafür nicht in Frage kam, verstand sich von selbst. Ein Pariser Schreinermeister musste her, um eine (sündteure) Maßarbeit zu zimmern.
Die Gnadenlosigkeit hörte nicht auf. Tage, nachdem der Bücherberg eingeräumt war, bemerkte ich, dass mir die Farbe nicht gefiel. Also räumte ich die hundert Meter wieder leer und bat einen Maler, die Regale anders zu streichen.
Mein Karma lief zu seiner Höchstform auf, von meinen Büchern ging jetzt der nackte Terror aus. In den finstersten Momenten hielt ich mich für eine Wiedergeburt des wahnsinnig gewordenen Dr. Peter Kien aus Elias Canettis einst wild verschlungener (und zweimal gestohlener) Blendung .
Mit dem Föhn trocknete ich die Farbe, um so schnell wie möglich wieder ein »normales« Leben führen zu können. Schweißtropfend und von allen Gliederschmerzen gejagt, trug ich ein zweites Mal den Bücherberg ab, der von der Küche bis ins Arbeitszimmer im Weg stand.
Aber ich hatte noch nicht genug gesühnt. Noch einen Spalt weiter öffneten sich die Pforten des Irrsinns. Nach einer halben Woche bemerkte ich, dass die neue Farbe die falsche und dass die erste die absolut richtige gewesen war. Ich begriff, dass aller fürchterlichen Dinge mindestens drei waren. Noch einmal schichtete ich meine Wohnung voll. Und behielt die Nerven. Denn anders als Kien setzte ich mich nicht auf den Papierberg und zündete ihn an, sondern wählte gefasst die Nummer von Monsieur Afridi. Und der geduldige Afrikaner fing von vorn an. Der Mensch war höflich, nie ließ er sich zu einer Bemerkung über meinen Geisteszustand hinreißen.
Irgendwann stoppte die Schleuder, präziser: sie verlangsamte. Der Orkan ließ nach, ich kam wieder in die Nähe einer überschaubaren Existenz. Erdbebengefährdet blieb ich weiterhin, aber die Rachegöttinnen begruben mich nicht mehr unter einem Wirbel rasender Aktivitäten zur Verschönerung meiner Bücherwelt. Ich lernte, als Behinderter zu leben. Klar, die Höchststrafe schien noch immer möglich: als Buchhändler wiedergeboren zu werden, der hilflos zuschauen muss, wie Halunken seine Bestände dezimieren.
Der kleine Wahnsinn richtete sich bei mir
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