Dies beschissen schöne Leben: Geschichten eines Davongekommenen (German Edition)
ein, der schon. Aber ich wusste mit ihm umzugehen. Ich besorgte mir einen Erste-Hilfe-Kasten mit Spezialleimen, Isolierbändern, Schneidwerkzeugen und verschieden feinen Schleifpapieren. Um allen frisch verwundeten Büchern sofortige Linderung verschaffen zu können. Selbstverständlich wurden alle neu gekauften Werke auf Fadenheftung oder Klebequalität überprüft. Jedweder Mangel wurde noch vor der ersten Lektüre behoben. Von mir oder einem Fachmann. Nebenbei suchten sieben Antiquariate nach Büchern, die ich verloren hatte und ohne die zu leben ich mir nicht vorstellen wollte. Kamen die modernen Zeiten, suchte ich über das Internet. Dass eine Sekretärin für sechs Tage antreten musste, um gemeinsam mit mir alle Titel der Bibliothek plus Autoren in den Computer zu tippen, auch das schien auf einmal unaufschiebbar. Um die Übersicht nicht zu verlieren, um ein gesuchtes Buch schneller zu finden.
Konnten Freunde mich tatsächlich überreden, ihnen ein Buch zu leihen (oft kaufte ich ihnen ein neues, um der Bedrohung auszuweichen), so erhielten sie mit dem Buch eine Gebrauchsanweisung, oberstes Gebot: »Händewaschen vor dem Benutzen.« Sie lachten, sie ahnten nicht, was ich hinter mir hatte.
Ein letztes Wort: Vor nicht langer Zeit las ich im New Yorker eine Geschichte von Amos Oz. Der israelische Schriftsteller erzählte, wie ihm der Vater beim Sortieren seiner Kinderbibliothek geholfen hatte. Die für den Jungen so überraschende Pointe: Der kluge Erwachsene arrangierte die Bücher auf verschiedenste Weise, einmal nach Themen, einmal nach Titeln, dann in ihrer zeitlichen Entstehung oder alphabetisch, oder eben nach Autoren, nach Größe, nach dem Namen des Verlegers. »Das«, so Amos Oz, »war der Augenblick, in dem ich zum ersten Mal begriff, dass das Leben voll verschiedener Möglichkeiten war. Dass so verschiedene Logiken in der Welt existierten. Dass alles von einem anderen Blickwinkel aus betrachtet werden konnte.«
Mir verhalf meine Bibliothek, die Mühsal, sie anzuschaffen, und die noch elendere Mühe, sie so oft wie möglich in meiner Nähe zu wissen, zu einer anderen Erkenntnis: dass von einer Leidenschaft getrieben zu werden ein einzigartiges Privileg ist. Dass wohl nichts Trostloseres existiert, als ohne feurige Hingabe seine Tage hinter sich zu bringen. Selbst in jenen Nächten, in denen ich vor Schmerzen winselnd am Boden lag, selbst dann, wenn ich fürchtete, wegen einer pathologischen Zwangsneurose im Irrenhaus zu enden, hätte ich die Verursacher dieser Marter nicht verraten. Leidenschaften verlangen eben einen Eintrittspreis, auch das hatte ich begriffen. Und, noch eine Einsicht: dass mein Beitrag, alle Foltern eingeschlossen, wenig genug war. Denn Bücher behüteten und behüten mein Leben. So innig, so beharrlich.
DER TRIP
Kurz nach 18 Uhr läutete ich bei Ben. An einem kalten Oktoberabend feierte er seinen Geburtstag. Ich war eingeladen, ich war der einzige Gast.
Es gab nichts. Nur ein Löschblatt mit zwei winzigen Portionen Lysergsäurediethylamid. Ben hatte versprochen, mich mitzunehmen auf einen LSD -Trip. Er verfügte bereits über einschlägige Erfahrungen, wohltuend und farbenfroh wären sie gewesen. »Alles ganz easy, ich bin dein Guru«, meinte er und zog die Vorhänge zu. Später dachte ich oft an dieses Wort: easy . Weil Ben hielt, was er versprochen hatte. Nur leicht, leicht wurde nichts.
Mein Guru schluckte sofort. Bald fing er an, mit dem Kopf zu wackeln und vor sich hinzukichern. Ich ließ mir Zeit, trank einen Tee und wartete auf die Dunkelheit. Als sie kam, dämpfte sie meine Skrupel. Wie erwartet. Es war das erste Mal, dass ich ein Halluzinogen nahm. Andere Drogen kannte ich. Die vom LSD produzierten Halluzinationen jedoch, so hörte man, taugten für eine Himmelfahrt oder einen Abstecher in die Hölle. Die weniger Gefährdeten blieben auf der Erde, heiter beschwingt und unerreichbar für alle Exzesse. Ich zögerte, ich fühlte mich gefährdet.
Bei Anbruch der Nacht hatte ich mich überredet. Ich spülte die paar Milligramm farbloser Masse hinunter und legte mich auf den Boden. Ben gab Anweisung, »nichts zu machen«. Ich machte nichts, lag nur still und horchte. Jetzt war ich bereit.
Nach dreiundzwanzig Minuten ging es los. Wellen zitterten unter meiner Haut. Wie eine zarte nächtliche Pollution, nur fortdauernd, ohne Höhepunkt, ohne Aufwachen. Eine friedliche Wollust wogte durch meinen Körper. Er schien nun offen, keine Angst blockte, kein noch so vertrauter
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