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Dies beschissen schöne Leben: Geschichten eines Davongekommenen (German Edition)

Dies beschissen schöne Leben: Geschichten eines Davongekommenen (German Edition)

Titel: Dies beschissen schöne Leben: Geschichten eines Davongekommenen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Altmann
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Mühe und stammelte nach mehreren grunzenden Versuchen die Wörter: »Einen Arzt, bitte.«
    Niemand, den mein Flüstern erreichte. Wahrscheinlich kamen die Worte so zäh und langsam, dass jeder Zusammenhang verloren ging, mein Notruf nicht anders klang als das vertraute Gelalle der zahlreich anwesenden Trunkenbolde.
    Die Depression kehrte zurück. Und blieb. Warum also warten? Ich fasste nach dem Messer, das sich auf dem Teller mit den Zitronenscheiben befand. Mit konfuser Gebärde führte ich es Richtung Herz. Der Orientierungssinn war mir inzwischen abhandengekommen und plötzlich wurde aus dem Messer ein sperriges Schwert. Ich musste nachdenken, um die geeignete Stelle für den Stich zu finden. Ich fand sie nicht. Auch war nicht genügend Zeit, denn ein Gesicht tauchte vor meinen Augen auf, ich ahnte, dass es zu dem Mann gehörte, der mir die Klinge aus der Hand schlug. »Kretin, besoffener«, rief er, aber sein Mund war schon sekundenlang zu, als ich endlich den Sinn des einfachen Satzes begriff. Dann spürte ich die Hände des Barmanns an meinem Kragen. Er packte zu und schleifte mich hinaus. Dass es mir draußen die Beine wegriss, war nicht mehr die Schuld des Dicken. Er schob nur an, den Rest besorgte das LSD .
    Jetzt begann der nächste Teil der Reise. Ich flog auf das Trottoir und schleuderte in einen Spiralnebel. Nur Augenblicke waren nötig, um ein halbes Dutzend Milchstraßen zu durchqueren. In der Stille und Einsamkeit vernahm ich dröhnend meinen eigenen Herzschlag. Diesmal gab es keinen Grund zu zögern, sofort überwältigte mich der Wunsch, mich zu vernichten. Um kein Bewusstsein mehr zu spüren. Um nicht länger so viel Verlassenheit und Nacht standhalten zu müssen. Aber hier war nichts, das mich eliminieren, das mich hätte befreien können. Ich war allein, Mittelpunkt einer von Sprache und Denken unfassbaren Leere. Der Horizont war schwarze Dunkelheit, durch die ich mit Lichtgeschwindigkeit raste, fort von Liebe und Hass, fort von Anfang und Ende, fort von Leben und Tod, fort von jedem Gegenstand der Welt, ohne Unten und Oben, ohne Vorwärts und Rückwärts, preisgegeben an tausend Dimensionen. Und es war still, kosmisch und unmenschlich still.
    Zwischenlandung auf der Erde. Zusammengekrümmt und mit zehn an das Gitter einer Hofeinfahrt festgekrallten Fingern fand ich zurück zu einem irdischen Bewusstsein. Ich lachte hysterisch vor Freude, erkannte gleichzeitig, dass ich handeln musste, dass ich so lange in Gefahr schwebte, wie die Droge ihre Weltraumflüge nicht einstellte. Doch die Erkenntnis war wertlos. Auch mein kindischer Versuch, mich festzuhalten, um nicht wieder hinaus in den schwarzen Himmel zu segeln, erwies sich als vergeblich. Um Hilfe winselnd jagte ich zurück.
    Irgendwann hatte ich Glück. Bei meiner nächsten Ankunft in dieser Seitenstraße der Millionenstadt sah mich jemand das verrostete Gitter loslassen und auf allen Vieren über den Bürgersteig kriechen. Er sah mich, ich sah ihn. Es war kalt und ich war barfuß und wimmerte. Das muss ein seltsames Bild gewesen sein. Der Fremde telefonierte (so vermutete ich später) nach einem Unfallwagen.
    Während wir mit einem lauten blauen Licht zur Klinik rasten, erzählte ich dem Sanitäter ein Dutzend Mal, wie ich hieß, wie alt ich war, wo ich wohnte. Immer wieder. Den Tipp hatte ich von einem Junkie. Ein simpler Trick, um die zerebralen Fähigkeiten zu reaktivieren und die Verbindung zur Welt zu halten. Der Mann nickte teilnehmend, auch nach der letzten Wiederholung. Er war der erste Mensch, der mir nach einer langen Reise zuhörte. Er war wichtig.
    Die Aponal-Spritze in den Hintern verstärkte die Anziehungskraft der Erde. Irgendwann schwebte ich sanft auf ein Krankenhausbett. Noch schwirrten Dinge durch den Raum, noch sah ich Höhen und Tiefen, Geraden und Kurven in dem sonst so kalten Plastikboden. Er bewegte sich. Aber seine Hässlichkeit beruhigte. Langsam wich der Druck aus meinem Schädel. Mit jeder Sekunde wurde ich froher. Wie einer, der sein Leben zurückbekam.

DER SCHREI
    Fünf Uhr morgens: Ankunft in Algier, Busbahnhof. Es ist noch dunkel. Zweitausend Kilometer lang zog sich die Strecke quer durch die Sahara, von Süden nach Norden. Schweiß klebt auf meiner Haut. Ich wandere Richtung Stadtmitte. Ein paar Straßenkehrer, ein paar Hunde, die feuchte, salzige Luft. Am Square Port Saïd gibt es ein offenes Café, das Grande Glacière . Hier sei das Zentrum, erklärt man mir selbstbewusst. Ich bestelle einen Espresso und

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