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Dies beschissen schöne Leben: Geschichten eines Davongekommenen (German Edition)

Dies beschissen schöne Leben: Geschichten eines Davongekommenen (German Edition)

Titel: Dies beschissen schöne Leben: Geschichten eines Davongekommenen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Altmann
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Bauchschmerz, der sich ihm in den Weg stellte. Ich begann zu weinen. Ben legte Vivaldis Vier Jahreszeiten auf, noch ein Katalysator. Ich sah mein Herz aus der Brust fahren und über den Lautsprechern schweben, sah es beseelt und durchflutet von italienischer Musik. Ich gab mich vollkommen hin, vernahm nicht den leisesten Aufruf, dieses kitschige Bild zu vertreiben.
    Die Empfindungen wurden drängender, besitzergreifender. Jetzt kamen die Aufrufe, etwas dagegen zu unternehmen. Ich war offensichtlich nicht fähig, ohne Gegenmaßnahmen Glück auszuhalten.
    Ich richtete mich auf und dirigierte. Das half. Sitzend und in Bewegung konnte ich solche Zumutungen ertragen. Ich barst vor Wohlbefinden, zerfloss, kroch nach Bleistift und Papier. Ich wollte schreiben. Was scheiterte. Weil es nichts zu sagen gab. Weil ich plötzlich einverstanden war, hemmungslos einverstanden. Ohne Zaudern vor den Bedrohungen eines unverdienten Glücks schlitterte ich in eine namenlose Wonne. Ich liebte und wurde geliebt, ich existierte, ich dauerte.
    Bis zum Umzug in die Hölle. In Bruchteilen von Sekunden, ohne Zwischenstation. Aus meiner linken Hosentasche schoss eine Stichflamme. Ich griff hinein und zog meine glühende Uhr hervor. Schmerzbrüllend ließ ich sie fallen. Ein Blick auf das Bücherregal gab letzte Gewissheit: FEUER ! Die lichterloh brennende Wohnung. Ich stürzte zur Tür, verschlossen. Hinter mir die gierigen Flammen. Rüber zum Fenster, es aufreißen und springen. Vergeblich, denn eine energische Hand hielt mich fest. Sie gehörte Ben, dem Guru. Ich hatte ihn längst vergessen:
    »Lass mich. Siehst du nicht, dass die Wohnung brennt?«
    »Nichts brennt, nur dein Hirn brennt. Du bist auf dem Horror gelandet, das ist alles.«
    Mir fehlten die Nerven, um diesen Ignoranten von der Gefahr zu überzeugen, in der wir uns befanden. Ich rannte zurück zur Tür. Als ich nach dem Griff fasste, wurde aus dem Ausgang ein Felsblock. Meine Hand verschmolz mit den Gesteinsmassen, die sich nun Stück für Stück ins Zimmer schoben. Auf der anderen Seite loderten die Bücher. Apokalyptische Panik schüttelte jetzt meinen Körper. Ich riss meine Hand aus dem Felsen und fiel vor Ben auf die Knie. Hündisch vor Angst flehte ich ihn an, die Tür zu öffnen. Er gab nach und schob die Brocken zur Seite. In schierer Todesangst, noch im Treppenhaus von den einstürzenden Mauern begraben zu werden, jagte ich gebückt hinunter.
    Unten auf der Straße warf ich mich auf den Boden, da noch immer die Möglichkeit bestand, von splitternden Dachbalken erschlagen zu werden. Ich robbte so lange, bis ich ein Haus entdeckte, das nicht brannte. Daydreaming stand auf dem Schild, darunter Discothèque . Ich richtete mich auf, die Feuersbrunst lag hinter mir. Ich ging hinein, die Tanzfläche war leer. Cilla Black sang und ich empfand ein heftiges Verlangen, mich zu bewegen. Ich begann zu tanzen, meine Kräfte kamen zurück. Sogleich war ich der Star und fühlte die fordernden Blicke der Frauen. Bis ich eine Stimme in mir hörte, die mich schadenfroh an meinen hässlichen, abstoßenden Leib erinnerte. Bruchstücke meiner Kindheit schwemmten nach oben. Ich stoppte und empfand nur Scham, gräuliche Scham.
    So übermächtig kam die Reue, dass es besser schien, mich auszulöschen, jedenfalls besser, als ein lächerliches Dasein bis zu seinem lächerlichen Ende zu ertragen. Dennoch, auf dem Weg zur Bar kamen die Zweifel. Sterben ist grässlich. Diese Einsicht geschah in dem Augenblick, als ich neben dem Horrortrip stand und gleichzeitig wusste, dass ich mich mittendrin befand. Ich beschloss, mir noch ein paar Minuten Bedenkzeit zu geben.
    Auf der Theke stand eine Flasche Perrier. Ich setzte an und stieß sie entsetzt zurück. Wie Granitgeröll donnerte der erste Schluck durch meine Speiseröhre. Ein böser Gedanke schoss durch mein Gehirn: dass ich an den ersten Rändern des Wahnsinns entlangdriftete und nicht mehr entkommen würde. Ich dachte an Geisteskranke, die wohl ähnlich fühlen mussten. Weil sie im Kopf gefangen waren und keine Chance hatten, ihren eigentlichen, den vernünftigen, Geisteszustand mitzuteilen. Mir fielen die armen Teufel ein, die lebenslänglich und unrettbar lang durch die Abgründe eines ruinösen Trips dämmerten.
    Ich musste aus dieser verrückten Existenz heraus, fasste nach meiner pelzigen Gesichtshaut, massierte sie, wollte Leben in sie hauchen, organisierte mit rabiater Willensanstrengung mein Sprachzentrum, spürte den kalten Schweiß dieser

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