Dies Herz, das dir gehoert
in zorniger Schwäche. »Dass ich so hilflos vor Ihnen dasitzen muss! Das ist ein schlechter Anfang mit uns, Fräulein Lark!«
Sie lächelte wieder, sehr sanft, ein bisschen spöttisch, er sah es nicht.
Er versuchte eifrig zu erklären, seine schmähliche Schwäche zu entschuldigen: »Es ist nur diese elende Grippe! Wissen Sie, ich bin gestern Abend erst wieder aufgestanden.«
»Und heute früh schleppen Sie Kisten! Aber warum denn – bei so viel Geld!«
»Das Geld gehört nicht mir! Aber auch als Millionär hätte ich Kisten geschleppt, bis ich umgefallen wäre, bloß um in Ihrer Nähe zu sein, Hanne!«
»Und eben haben Sie gesagt, ich kenne Sie nicht!« Sie lachte leise und glücklich. »Aber Sie müssen in ein Bett. Haben Sie denn niemanden hier in Berlin, zu dem ich Sie bringen kann?«
Er schüttelte den Kopf. »Niemanden.«
»Aber wie kann man so allein leben! Wollen Sie in ein Krankenhaus?«
Er verneinte wieder.
»Oder in ein Hotel?«
»Lassen Sie mich doch nur hier sitzen! Sehen Sie alle paar Stunden nach mir, das wird mir am allerbesten tun!«
Sie sah ihn ratlos an. »Was mache ich nur mit Ihnen? Sie können doch nicht hier in dem kalten, zugigen Gang sitzen! Sie sind krank. Sie müssen in ein Bett!«
»Ich brauche nur ein paar Stunden Ruhe«, sagte er hartnäckig, aber es ging ihm sehr schlecht. »Und die habe ich in Ihrer Nähe am allerbesten.«
»Es ist doch ganz unmöglich!«, sagte sie ratlos.
Sie sah auf seinen gesenkten Kopf, an seinen Schultern sah sie, wie hastig er atmete.
»Sie haben Fieber!«, sagte sie wieder.
Er schwieg.
»Bitte, lassen Sie mich Sie irgendwo hinbringen, sagen Sie wohin!«, bat sie sanft.
Er hob den Kopf, er nahm ihre Hand.
»Quälen Sie mich doch nicht!«, bat er. »Diese Stunden sind die ersten glücklichen Stunden für mich – seit Jahren. Endlich habe ich einen Menschen gefunden – ich gehe nicht aus Ihrer Nähe und wenn ich umfallen muss!«
Sie sah ihn an. »Wahr?«, fragte sie.
»So wahr!«, sagte er leidenschaftlich, »wie ich von ganzem Herzen hoffe, noch einmal glücklich zu sein – mit Ihnen!«
»Still!«
Sie sahen sich an. Der Gang war dämmrig. Er saß auf einer Kiste, sie hielten sich bei der Hand. Sie sah von oben in sein ihr entgegengehobenes Gesicht. Es war lange still.
»Kommen Sie«, sagte sie dann. »Ich weiß jetzt, wohin ich Sie bringe. Werden Sie zehn Minuten ganz langsam gehen können?«
»Wohin wollen Sie mich bringen? Ich will nicht fort von Ihnen – auch nicht zehn Minuten weit! Ich brauche Sie – alle Tage, alle Stunden, jede Minute – immer!«
»Ich bringe Sie zu mir!«, sagte sie.
Bei ihr
Die beiden gehen langsam, sehr langsam den kurzen Weg von der Zentralmarkthalle bis in die Bischofstraße. Es ist nun schon ein bisschen Tageshelle in die Stadt Berlin eingedrungen, aber die Straßenlaternen brennen immer noch, und das Licht ist grau und freudlos.
Sie sprechen kaum ein Wort miteinander. Jedes ist mit seinen Gedanken beschäftigt. Das Mädchen denkt nicht darüber nach, was sie für die Augen der ehrsamen Tante wagt. Wenn ihr Herz etwas befiehlt, gibt es für sie kein Überlegen. Aber sie denkt über ihn nach: Wie sehr hat er sich doch in den wenigen Stunden, die sie ihn nun kennt, gewandelt! In den ersten Stunden ein tatkräftiger Mann, der alles kann, der alles gerne tut, dem nichts zu viel ist – und nun hängt an ihrem Arm ein Hinfälliger, der sich an sie klammert wie ein Kind an seine Mutter, dessen Koffer sie trägt, und er merkt es gar nicht!
Es macht sie glücklich, dass er so viel von ihr erwartet, denn sie möchte ja immer, immerzu geben, aber eigentlich war er ihr lieber, als er ein Mann war. Es ist nicht nur die Krankheit, spürt sie, es ist ein Bruch in ihm, er ist schwach. Vielleicht weil er gerade in die Heimat zurückgekehrt ist, aber vielleicht ist er auch immer schwach gewesen.
›Ich werde ihn stark machen!‹, denkt sie.
Er aber an ihrer Seite denkt nur daran, dass er nun wirklich in die Heimat zurückgekehrt ist. Er ist daheim – er hat es vor vier Stunden noch nicht gewusst, aber nun weiß er es für immer! Wenn er noch je Zweifel hatte über die Fabrik in Charlottenburg, Bruder und Villa, über die Mutter – sie sind vorbei. Hier, wo dieser Arm ihn hält, da ist die Heimat!
Wenn er je Angst vor einem Leben ohne Geld, mit einerArbeit, für die er nicht erzogen wurde, gehabt hat – an ihrer Seite zu arbeiten, wo es auch sei, das ist das Glück, das ist Friede – da ist die Heimat!
So
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