Dies Herz, das dir gehoert
gehen sie nebeneinander hin – zwei sehr junge Menschen, die zum ersten Mal die Erschütterung des Herzens spürten.
Und hinter ihnen, oft nur drei, vier Schritte von ihnen getrennt, geht ein anderer, den Zigarrenstummel im Mundwinkel, das Auge unablässig auf sie geheftet: Die junge Liebe, schon im Schatten ungeahnten Unheils!
»Es ist nur eine Treppe«, sagt sie. »Fassen Sie sich am Geländer an. Ich halte Sie auf der andern Seite. Die Stufen sind so schmal, und diese alten Häuser sind immer so dunkel.«
Sie steigen langsam empor. Sie schließt die Flurtür auf. Sie treten auf den Vorplatz, sie zieht die Tür hinter sich zu.
Auf dem dunklen Vorplatz stehen sie einen Augenblick einander gegenüber, kaum atmend. Sie sind so allein miteinander, es ist so unerhört still um sie. Es ist ihnen beiden, als müsse jetzt gleich etwas Großes geschehen.
Aber nichts geschieht.
Sie stößt eine Tür auf und sagt: »Das ist mein Zimmer – kommen Sie!«
Es ist ein sehr schmales, fast dunkles Zimmer. Es ist nur das ehemalige Dienstmädchenzimmer der Mahling’schen Wohnung, das sie der armen Nichte eingeräumt haben – aber es ist ihr Zimmer!
Er steht da mit einem hilflos glücklichen Lächeln, er starrt die hässlichen alten Tapeten an, das schmale, weiße Bett, den eisernen Waschständer, als seien es Wunder. Rasch streichelt er den kiefernen Kleiderschrank, neben dem er steht.
Sie tut, als sähe sie es nicht.
»Ziehen Sie sich die Schuhe aus, und legen Sie sich aufsBett«, sagt sie. »Es wird Sie keiner stören. Wenn das Telefon geht oder die Türklingel, kümmern Sie sich nicht darum. Zu essen finden Sie in der Küche hier grade gegenüber. – Sie wollen jetzt nicht essen?«
Er schüttelt den Kopf.
»Ich komme immer um halb sechs, um die Wohnung zurechtzumachen und Abendessen zu kochen. Onkel und Tante kommen erst nach sieben. Bis dahin werden Sie frisch genug sein, sich ein Zimmer zu suchen, nicht wahr?«
Er sieht sie an.
Sie lächelt: »Oh, Sie Kind! Es darf ja hier in der Nähe sein, meinethalben hier im Haus. Wissen Sie denn noch immer nicht, dass ich Sie wiedersehen will?«
»Doch! Aber dann denke ich wieder, es ist nur ein Traum. Es ist zu viel Glück so plötzlich. Ich kann es noch nicht fassen, Hanne.«
»Wenn es dein Glück ist, so glaube daran.« Leiser: »Es ist ja auch mein Glück!«
Einen Augenblick ruht sein Kopf an ihrer Schulter, dann richtet sich Hanne Lark auf.
»Ich muss fort. Tante Gustchen hat keine Ahnung, wo ich geblieben bin. Sie wissen mit allem Bescheid? Also um halb sechs, nicht wahr?«
»Einen Augenblick, bitte, Hanne! Nur noch fünf Minuten! Sie haben noch fünf Minuten Zeit? – Bitte, geben Sie mir ein Blatt Papier und einen Umschlag. Ich muss einen Brief schreiben, ich muss das Geld fortschicken, eher habe ich keine Ruhe.«
»Warum haben Sie eher keine Ruhe?«
»Weil ich erst dann dir ganz und allein gehöre, Hanne!«
»Hannes!«
Dieses Mal küssen sie sich.
Und dann sitzt er am Tisch, in das kleine Groschentintenfass taucht er den dünnen schwarzen Holzhalter mit dem Messingring, schreibt auf dem linierten Briefpapier.
Sie steht an der Tür und beobachtet sein Gesicht. Aber sie fragt nicht.
»Liebste Mutter«, schreibt er, »verzeih mir, aber ich kann nicht zu euch. Es wäre keine Heimkehr. Ich muss mir allein meine Heimat suchen, fern von Dir. Ich glaube, ich habe sie gefunden. Dein Hannes.«
Er faltet den Brief, er nimmt alles Geld aus seiner Tasche, er behält nicht einen Schein zurück. Er nimmt die noch immer aufbewahrten Schecks – er verschließt dies alles im Umschlag. Er schreibt die Adresse.
»Da, Hanne!«, sagt er. »Willst du das gleich auf die Post bringen? Dann ist die Last vom Herzen, und ich bin ganz bei dir.«
»Ich bringe ihn sofort weg. Schlaf nur schön.«
»Und die Adresse. Du wirst diese Adresse vergessen, du versprichst mir das, Hanne?«
»Ich werde sie vergessen – ich verspreche es dir!«
»Dank! Dank! Dank!«
Sie küssen sich wie die Kinder. Dann setzt er sich todmüde aufs Bett, mit seinen Fingern tastet er nach den Schuhbändern.
Jetzt wird er schlafen können, wie er noch nie geschlafen hat. In der Heimat. In Frieden. In der Liebe. Im Glück.
Der Überfall
Kaum hat Hanne Lark die Tür ihres Zimmers geschlossen, so fällt alle sanfte Verträumtheit von ihr ab. Über eine Stunde hat sie der Tante Gustchen am Stand gefehlt – und sie braucht deren gute Stimmung, hat sie nötiger denn je!
Sie schiebt den Brief unter den
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