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Dies Herz, das dir gehoert

Dies Herz, das dir gehoert

Titel: Dies Herz, das dir gehoert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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gefertigt. Manchmal haben sich ihre Finger dabei berührt, dann sind sie auseinandergewichen, als hätte eines sich am andern verbrannt.
    Tante Gustchen Mahling hat die beiden scharf aus dem Augenwinkel beobachtet. Sie ist fest entschlossen, dem jungen Mann, mag er noch so tüchtig sein, gleich den Laufpass zu geben. Ihre Nichte Hanne ist ein anständiges Mädchen, und Tante Gustchen ist fest entschlossen, dafür zu sorgen, dass sie das auch bleibt. Dieser junge Herr von Nirgendwo, der zur Vollendung den Hallenarbeiter spielt, kann nichts Gutes im Sinn haben. So fängt eine anständige Liebe nicht an.
    Die Hallenuhr hat drinnen kaum den ersten Schlag zursiebenten Stunde getan, so sagt Frau Mahling entschieden: »Feierabend, Sie, junger Mann! Holen Sie jetzt Ihre Sachen, und kommen Sie dann nach Ihrem Geld.«
    Der junge Mann sagt gehorsam: »Jawohl«, und geht ohne weiteres Wort und ohne Blick.
    »Hanne, und du holst jetzt unser Frühstück! Ich habe auch noch mit dir zu reden! Du hast dich ja benommen ...!«
    Auch Hanne geht ohne Wort und Blick.
    So, und nun soll sich der Jüngling beeilen. Tante Gustchen wünscht kein zärtliches Abschiednehmen unter ihren Augen. Tante Gustchen hat in ihrem ganzen Leben noch nie von ihrem Oskar zärtlich Abschied genommen und hält so etwas auch, von ihrem Standpunkt aus mit Recht, für unnötig.
    Der junge Mann hat sich wirklich beeilt. Er ist völlig ungesehen von dem jetzt auch, aber in der Kantine, frühstückenden Herrn Oppermann in den Gang gekommen und hat sich wieder zurechtgemacht. Die Schürze hat er nach kurzem Zögern auf den Boden des Ganges gelegt, und nun fehlt nur das Köfferchen, das Hanne vor drei Stunden, als er mit seiner Arbeit begann, in einen leeren Korb des Standes gesetzt hatte.
    Er ist noch nicht ganz unglücklich, denn er wird sie ja noch einmal beim Geldempfang sehen, aber er ist schon fast ganz unglücklich, denn er weiß, er wird sie in zwei Minuten zum letzten Mal sehen. Das Kraftgefühl ist verschwunden, die Lebensfreude ist verrauscht, wieder schmerzen die Glieder, sein Kopf – er ist fast schon wieder so krank, wie er gewesen.
    »So!«, sagt Frau Mahling befriedigt zu ihm, als sie den vergeblich suchenden Blick des jungen Mannes merkt. »So!«
    Und doch will sie fast ein Gefühl des Mitleids beschleichen angesichts der blassen, plötzlich so verfallenen Gestalt. Aber sie wappnet sich mit all jener Tugendstrenge, die sie auch von der ganzen Menschheit zu erwarten das Recht hat, und sagt geschäftsmäßig: »Also, von vier bis sieben. Macht vierfünfzig. Sagen wir fünf Mark. Sie haben ja ganz gut gearbeitet.«
    »Es ist recht«, sagt Johannes Wiebe und hat nichts gehört, denn er ist mit seinen Gedanken bei dem plötzlich verschwundenen Mädchen.
    Wie aber wird er aus diesen Gedanken aufgeschreckt. Frau Mahling ist in den Stand gegangen, hat ihre Blechkassette geöffnet und auf den ersten Blick das Fehlen sämtlichen Wechselgeldes festgestellt.
    »Diebe!«, schreit sie gellend.
    »Polizei!«, schreit sie. Und immer schneller: »Diebe! Polizei! Polizei! Polizei!«
    Johannes Wiebe fährt zusammen und starrt die Frau fassungslos an. Er versteht noch nicht recht, was los ist, er kann es ja auch nicht verstehen, denn Frau Mahling sagt ja gar nicht, was eigentlich gestohlen ist. Es wird ihm aber auch keine Zeit gelassen, sich näher mit diesem Problem zu befassen, denn von allen Seiten laufen sie jetzt zusammen, das einströmende Publikum, Kollegen und Kolleginnen von den andern Ständen – schon naht ein Hallenaufseher.
    »Schrein Se doch nicht so, Frau Mahling!«, sagt er vorwurfsvoll. »Wat sollen die Fremden denn von unsre Halle denken! Wat is denn jeklaut?«
    »Mein ganzes Wechselgeld!«, ruft Frau Mahling aus der Burg ihres Standes heraus, über die Bastionen, Wälle und Türme fort. »Fast hundert Mark!«
    Sie ruft es nicht eigentlich dem Hallenaufseher zu, sondern mehr einem jungen Mann, der immer bleicher wird, wie ihr vorkommt.
    »De alte Jeschichte!«, sagt der Aufseher missbilligend, umwogt von der andrängenden Masse der neugierig Zuhörenden. »Natürlich een bissken klatschen jewesen in de Nachbarschaft und unterdessen ...«
    »Ich bin nicht klatschen gewesen! Ich klatsche nie! Ich bin nicht von meinem Stand fortgekommen, aber ein fremder Mann hat sich heute den ganzen Morgen an meinem Stand aufgehalten.«
    »Was ist denn hier los?«, sagt freundlich, aber ein wenig missbilligend die Stimme des Gesetzes. Ein zwar kleiner, aber drahtiger

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