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Diese alte Sehnsucht Roman

Diese alte Sehnsucht Roman

Titel: Diese alte Sehnsucht Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Russo
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Nachttisch 00:07. Er zog sich so leise wie möglich im Dunkeln aus und schlüpfte langsam und vorsichtig ins Bett, um die Frau, die es nun mit ihm teilte, nicht zu wecken. Sie waren seit mehreren Monaten zusammen, doch es fühlte sich noch immer seltsam an – und nie seltsamer als in dieser Nacht –, eine Beziehung mit einer Frau zu haben, die nicht Joy war. Als sie sich regte, erwartete er, dass sie fragen würde, wie die Hochzeitsprobe gewesen sei und ob sie etwas Gutes verpasst habe, doch sie sagte nichts, und wenig später ging ihr Atem wieder tief und ruhig. Kurz darauf schlief er ebenfalls ein.
    Dann war er wieder hellwach und lauschte, ohne genau zu wissen, auf was. Es war kurz nach eins. Das Fenster, das dem Bett am nächsten war, stand einige Zentimeter weit offen, und in der unnatürlichen nächtlichen Stille Maines hörte er, wie der Kofferraum eines Wagens geöffnet wurde. Sein erster idiotischer Gedanke war, dass jemand die Urnen stehlen wollte.
    Barfuss trat er ans Fenster und sah ein Taxi in der kreisrunden Zufahrt stehen. Der Fahrer hob einen Koffer aus dem Kofferraum und stellte ihn vor seinen Fahrgast, einen gut gekleideten jungen Mann, der ihm Geld gab. Offenbar überrascht von dessen Großzügigkeit, sagte der Fahrer: »Oh, danke, Sir«, und als der junge Mann sich umdrehte und zum Eingang des Gasthauses ging, sah Griffin, dass es Sunny Kim war, und lächelte.
    Hinter sich hörte er eine Bewegung. »Griffin? Ist alles in Ordnung?« Ihre belegte Stimme klang leise und vertraulich.
    Ja, sagte er ihr. Es war alles in Ordnung.
    »Gut«, sagte Marguerite.

11
    MEHR ODER WENIGER IM LOT
    In der Hochzeitsnacht seiner Tochter hatte Griffin einen (gewiss infolge von Anspannung und Alkohol) besonders lebhaften Traum, in dem er in dichtem Regen, der die Straße gefährlich glatt machte, über die Sagamore Bridge fuhr. Die Brücke hörte gar nicht mehr auf, und sein Wagen war der einzige weit und breit. Harve saß aus irgendeinem Grund auf dem Rücksitz und gab ihm Instruktionen. Man ist nie zu alt, um fahren zu lernen , sagte er in demselben Ton, in dem er Griffin das Golfspielen beigebracht hatte. Man muss nur beide Hände am Lenkrad und die Straße im Auge behalten.
    Griffin erklärte, er könne bereits fahren, doch Harve ging gar nicht darauf ein.
    Es ist gar nicht kompliziert , fuhr er fort. Du musst nur zwei Dinge beachten: Hände am Lenkrad, Augen auf die Straße. Herrgott, ich hab meinen drei Töchtern und dann meinen zwei Söhnen Autofahren beigebracht, und wenn die beiden es gelernt haben, kannst du es auch lernen.
    Harve , sagte Griffin, hör mir doch zu. Ich kann schon –
    Da! , rief sein Schwiegervater und zeigte erschrocken nach vorn. Griffin trat auf die Bremse. Sofort brach das Heck des Wagens aus und schleuderte herum, was in der eigenartigen Logik des Traums bedeutete, dass Griffin jetzt Harve ansah, der auf dem Rücksitz saß und sagte: Beide Hände ans Lenkrad . Griffin machte sich darauf gefasst, dass der Wagen gleich gegen einen der steinernen Strebepfeiler der Brücke prallen würde, doch als das dann geschah, verspürte er nur einen erstaunlich sanften Ruck, als würde ein Boot gegen einen Steg stoßen.
    Ich wollte nur deine Reflexe prüfen , erklärte Harve. Ohne gute Reflexe bist du nichts weiter als ein Unfall, der darauf wartet, zu passieren.
    Als Griffin ausstieg, um den Schaden in Augenschein zu nehmen, sah er, dass der Kofferraum sich geöffnet hatte und die beiden Urnen seiner Eltern zerbrochen waren. Der Kofferraum war voller Asche – so viel, als wären es hundert Urnen gewesen. Sie hatte sich vermischt, und der Regen verwandelte sie in Matsch.
    Das hast du ja schön hingekriegt , sagte Harve, der auf einmal neben ihm stand. Wie willst du jetzt herausfinden, wer wer ist?
    Anstatt über dieses Problem nachzudenken, wachte Griffin auf.
    Draußen regnete es, nicht so stark wie in seinem Traum, aber dennoch recht heftig.
    Mit dem leichten Zusammenstoß hatte er verarbeitet, dass Marguerite aufgestanden war. Noch nicht ganz bereit, sich dem neuen Tag zu stellen, schloss er die Augen und tat, als schliefe er noch. Marguerite liebte Hochzeiten, und nach der gestrigen würde sie, wie er fürchtete, bester Stimmung sein. Griffin fühlte sich jedoch weder ihr noch ihrer vermutlichen Stimmung ganz gewachsen. Er spürte, dass sie ihn, wahrscheinlich misstrauisch, musterte, doch schließlich hörte er, dass die Badezimmertür geöffnet und wieder geschlossen wurde, und als wenige

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