Diese alte Sehnsucht Roman
der Staatspolizei angerufen und gemeldet hatte, auf dem Parkplatz der Raststätte sitze ein Mann zusammengesunken in einem Wagen.
Dass er mit der Asche seines Vaters so lange gewartet hatte, war nicht in Ordnung, dachte Griffin, als er auspackte, den Anzug in den Schrank hängte und sein Wasch- und Rasierzeug in das winzige Badezimmer brachte. Er hätte im letzten Herbst eigens aufs Cape fahren sollen. Sein Vater hatte ein Testament hinterlassen, aber nicht verfügt, wo er die Ewigkeit verbringen wollte.
Auf dem Heimweg von der Raststätte war Griffin zu dem, wie ihm schien, unvermeidlichen Schluss gekommen: Sein Vater war nicht unterwegs gewesen, um ihm und Joy einen Überraschungsbesuch abzustatten, denn dann hätte er die letzte Abfahrt vor der Raststätte nehmen müssen. Als Griffin seine Mutter anrief, um ihr zu sagen, was passiert war, hatte er ihr diese Theorie präsentiert. »Sein Koffer war voller Sommerkleidung. Er hatte zwei große Flaschen Sunblocker dabei.«
Sie hatte nicht gleich geantwortet, und er hatte sich gefragt, ob sie vielleicht um Fassung rang. Doch dann hatte sie nur bemerkt: »Ich hätte ihm gleich sagen können, dass er es nie schaffen würde«, und aufgelegt.
Die Pension hatte eine große Veranda, die sich rings um das Haus zog, und so nahm er die Aktentasche mit den Portfolios und setzte sich mit einem Schaukelstuhl in die Sonne. Er versuchte sich zu erinnern, wie das berühmte Shakespeare-Sonett über den Tod ging. »Fürchte nicht mehr der heißen Sonne Sengen …« – weiter kam er nicht, denn sein Handy vibrierte: Joy rief noch einmal an.
»Das habe ich vergessen zu fragen«, sagte sie. »Hat Sid dich erreicht?«
»Nein«, sagte er und setzte sich auf. Sid war sein Agent in L.A. Er war Ende achtzig und in der Branche trotz schrumpfender Klientenliste noch immer eine Legende. Griffin hoffte sehr, dass er wegen eines Auftrags angerufen hatte. In letzter Zeit machte er sich Sorgen ums Geld. Joy, die ihre gemeinsamen Ausgaben überwachte und die Schecks ausstellte, sagte zwar, sie stünden finanziell gut da, aber wenn Laura sich verlobte – was, wie sie angedeutet hatte, bald geschehen konnte, womöglich noch an diesem Wochenende –, würden sie eine Hochzeit ausrichten müssen, und eine rasche Drehbuchüberarbeitung im Auftrag eines Studios wäre genau das, was der Arzt verschreiben würde. »Wann hat er angerufen?«
»Gestern Abend. Er wollte wissen, ob du deine Noten schon geschrieben hast. Er hat sich angehört, als solltest du alles stehen und liegen lassen, dich in ein Flugzeug setzen und mit dem Fallschirm über dem Universal-Gelände abspringen.«
Seit sie nach Connecticut gezogen waren, hatte Joy nicht viel übrig für Sid, dessen fortwährendes, wenn auch sporadisches Erscheinen in ihrem gemeinsamen Leben sie als nebensächlich erachtete – für sie war er ein Anhängsel, das eines Tages einfach verschwinden würde. Er war auch einer der Angelinos, die beim Telefonieren nie an die Zeitverschiebung dachten. Um vier Uhr nachmittags – wenn es im Osten sieben war und Griffin und Joy sich zum Abendessen setzten – zog er die Flasche aus der Schublade, schenkte sich ein und begann, Leute anzurufen. Vielleicht wäre sie weniger enerviert gewesen, dachte Griffin, wenn Sid Aufträge angeboten hätte, aber meistens wollte er bloß in Erinnerungen an das alte Hollywood schwelgen – Bogart, Mitchum, Lancaster, Holden –, bis aus Nostalgie schließlich Zorn wurde, weil die Stadt inzwischen von »Bubis« überrannt wurde, wie er die neue Generation junger Schauspieler nannte – hübsche Jüngelchen, die in Actionfilmen auftraten und sich, nicht sehr überzeugend, als harte Burschen gaben. »Nicht einer von denen könnte es in einem fairen Kampf mit Renée Zellweger aufnehmen«, pflegte er zu sagen. »Du hast den richtigen Zeitpunkt für deinen Abgang gewählt, Junge. Wer braucht so was schon?«
Wer brauchte ihn schon? war, laut Joy, die berechtigtere Frage. Warum begriff er nicht, dass die Zeiten sich geändert hatten?
Gegen Ende ihrer Gespräche erinnerte Griffin ihn stets daran, dass er noch immer zahlendes Mitglied des Berufsverbandes sei, und wenn der richtige Auftrag daherkomme, besonders im Sommer … Doch bevor er fortfahren konnte, unterbrach Sid ihn jedes Mal. »Willst du meinen Rat hören?« sagte er, als hätte er Griffin soeben ein solches Angebot gemacht. »Lass dich nicht dazu herab. Du hast jetzt einen respektablen Beruf für erwachsene Menschen.« Wenn es
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