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Diese alte Sehnsucht Roman

Diese alte Sehnsucht Roman

Titel: Diese alte Sehnsucht Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Russo
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repariert werden konnte. Es gab ein Wort dafür – Perversion  –, doch er kannte es nicht und würde es erst Jahre später kennenlernen. Er kannte nur das Gefühl, und es erfüllte und trug ihn.
    Am Abend vor der Abreise der Griffins luden die Brownings ihn zu Hamburgern und Eiscreme ein. Mr. Browning hatte ein paar Wunderkerzen mitgebracht, die sie eigentlich für den Abend vor ihrer eigenen Abreise hatten aufheben wollen, aber da Peters neuer Freund und seine Eltern nun nach Hause fahren würden, hatten sie beschlossen, sie schon jetzt abzubrennen. Griffin hätte die Einladung unendlich gern angenommen, doch stattdessen sagte er zu Peter, er werde mit seinen Eltern ins Blue Martini gehen. Das sei zwar sehr teuer, aber seine Eltern hätten ihm versprochen, er dürfe sich bestellen, was er wolle, ganz gleich, was es koste, und darum müsse er die Hamburger leider ablehnen. Der Ausdruck der Enttäuschung auf dem Gesicht seines Freundes bereitete ihm eine bittere Genugtuung.
    Es stimmte zwar, das seine Eltern geplant hatten, schick essen zu gehen, aber das galt nur für sie beide, und ihre Überraschung und Verärgerung, als er ihnen erzählte, was er getan hatte, waren ebenfalls befriedigend. »Warum?«, fragte seine Mutter. »Es ist dein letzter Abend mit Steven, und seit zwei Wochen hören wir immer nur, Steven dies und Steven das.«
    » Peter «, korrigierte er sie – er schrie sie geradezu an, und es war ihm gleichgültig, dass das Ärger geben würde. »Er heißt Peter .«
    Sie musterte ihn einen langen Augenblick. »Warum tust du das?«, fragte sie, doch ihr Ton verriet, dass sie es genau wusste und sich gefragt hatte, wann diese Seite seiner Persönlichkeit sich endlich offenbaren würde. »Du tust dir nur selbst weh. Und das weißt du auch, oder?«
    Aber natürlich bluffte sie nur. Er tat eben nicht nur sich selbst weh, sondern auch ihr und seinem Vater, indem er ihren Plan ruinierte, und er enttäuschte Peter und die Brownings. Das war ja das Schöne daran, eigentlich das einzige Schöne: die gleichmäßige Verteilung von Enttäuschung und unerträglichem Verlust. Aber es gab noch einen anderen Teil in ihm, der von der Widersinnigkeit seiner neuen, schrecklichen Strategie überzeugt werden und nicht den Weg der rachsüchtigen Selbstzerstörung gehen wollte, und wenn seine Mutter sich mehr bemüht hätte, wäre ihr das vielleicht auch gelungen. Doch sie lächelte nur schief und sagte: »Gut, wenn du es so willst.«
    »Ja, ich will es so«, sagte er und spürte, wie etwas in ihm zerriss, denn es war nicht das, was er wollte, sondern das, was er brauchte . Später hörte er, wie sein Vater im Blue Martini anrief und die Reservierung stornierte. Sie fuhren dann zu einem Familienrestaurant, wo sie an einem verwitterten Picknicktisch saßen und das Essen auf Papptellern serviert wurde.
    »Ich kann Muscheln nicht ausstehen«, sagte seine Mutter und schob den Teller von sich.
    »Ich hatte es mir auch anders vorgestellt«, sagte sein Vater erbittert.
    »Wir hätten ja trotzdem zum Blue Martini fahren können«, sagte sie.
    »Ja, aber wo wäre da der Sinn?«
    Zwei Wochen zuvor hätte Griffin diese Frage nicht verstanden, doch jetzt verstand er sie. Ja, was war eigentlich der Sinn von allem? Diese Frage hatte er sich noch nie gestellt. Nach dem Essen brach die Dunkelheit herein, und sie machten eine lange, ziellose Autofahrt, wie sie es an ihrem letzten Abend auf dem Cape oft taten – sie sogen noch einmal alles ein, sie füllten die Lungen mit salziger Luft, als könnten sie diese mitnehmen in den Scheiß-Mittelwesten, um sie dort zu atmen. Keiner sagte etwas. Als sie wieder bei der Ferienhaussiedlung ankamen, war es stockdunkel – bis auf die tanzenden, hüpfenden Wunderkerzen vor dem Haus der Brownings. Griffin stieg aus, hielt inne und wartete auf Peters Stimme, die ihn einlud, damit er die Einladung noch einmal ablehnen und diese perverse Befriedigung spüren könnte, doch es blieb still.
    Oben, in seinem winzigen Zimmer unter dem Dach, zog er sich im Dunkeln aus und kroch ins Bett. Durch das Fenster sah er fünf Wunderkerzen ihre geisterhaften Zeichen schreiben. Aber wie konnte das sein? Die Brownings waren doch nur zu viert. Hielt einer zwei Wunderkerzen? In den vergangenen vierundzwanzig Stunden waren mehrere neue Familien eingetroffen – hatten die Brownings so schnell einen Ersatz für ihn gefunden? Angesichts dieser grausamen Möglichkeit schnürte sich ihm der Hals zu, und er ließ das Rollo

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