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Diese alte Sehnsucht Roman

Diese alte Sehnsucht Roman

Titel: Diese alte Sehnsucht Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Russo
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Tommy. »Was ist heute dran? Heuschrecken?«
    »Keine Ahnung«, sagte Griffin, obwohl die Sonne durch die Ritzen in den Chintzvorhängen fiel. »Warum bist du schon so früh auf den Beinen?«
    »Das bin ich oft«, sagte Tommy. »Außerdem muss ich jede Nacht mindestens dreimal aufs Klo. Sag bloß nicht, dass dir das erspart bleibt, denn ich hasse dich auch so schon.«
    »Warum?«
    »Aus demselben Grund wie immer. Wegen der Frau, mit der du verheiratet bist. ›Stets war ich eine gute Frau, doch hab wahres Glück ich nie gekannt. Eigentlich tragisch.‹«
    Es entstand eine unbehagliche Pause, weil keiner der beiden etwas sagte. Nebenan wurde die Dusche abgestellt.
    »Jedenfalls, Sid wird heute Morgen unter die Erde gebracht.«
    »Die verlieren keine Zeit.«
    »Das ist jüdische Sitte. Hier gibt’s Juden, musst du wissen. Und auch Neger und Hispanos. Wenn man im bleichen Neuengland lebt, vergisst man das leicht.«
    Die Badezimmertür ging auf, und Joy kam ins Zimmer und trocknete sich die Haare mit einem Handtuch ab. »Wer?«, flüsterte sie. An ihrem Lächeln erkannte Griffin, dass sie dachte, es sei Laura.
    »Tommy«, flüsterte er zurück, und sie bedeckte sich rasch mit dem Handtuch, als wäre sein Handy mit einer Videokamera ausgerüstet.
    »Aber in ein paar Wochen gibt es eine große Gedenkveranstaltung«, sagte Tommy und rasselte die Namen von einem halben Dutzend Regisseuren und Schauspielern herunter, die bereits zugesagt hatten, allesamt ehemalige Klienten von Sid. »Kommst du auch?«
    »Ich wüsste nicht, was dagegen spricht. Wenn ich meine Noten geschrieben habe, bin ich ein freier Mann.«
    »Dann kommt doch für eine Woche, Joy und du. Oder lieber zwei. Wir werden was zu lachen haben.«
    Joy beugte sich über den Notizblock mit dem Aufdruck der Pension und kritzelte etwas.
    »Ich arbeite im Augenblick an einem Drehbuch und komme nicht weiter«, fuhr Tommy fort. »Du kannst es dir mal ansehen und mir sagen, wo der Fehler liegt. Und wenn du brav bist, darfst du ihn beheben. Und Joy wird sich prima mit meiner Freundin verstehen. Das wird wie in den alten Zeiten.«
    Joy riss den Zettel ab und zeigte ihn ihm: Sag nicht für mich zu .
    »Klingt prima«, sagte Griffin. »Joy schüttelt zwar den Kopf, aber ich werde sie bearbeiten.«
    Worauf sich ihre Miene verfinsterte und sie zurück ins Badezimmer ging und die Tür hinter sich schloss. Und im Nu waren der Zauber der gestrigen Nacht und das Wohlgefühl, das er bewirkt hatte, verflogen.
    Eine halbe Stunde später hatten sie aus der Pension ausgecheckt und saßen im Wagen. Weil sie so spät aufgestanden waren, kamen sie nicht in den Genuss des Frühstücks. Als beide geduscht hatten und in den Speisesaal traten, war grausamerweise selbst der riesige Kaffeespender bereits weggeräumt worden. Der Besitzer entschuldigte sich und sagte, sie könnten einen der Wagen auf dem Parkplatz stehen lassen und ihn abholen, wenn sie von Truro zurückkämen. Joy mochte Griffins Roadster nicht, den sie für unsicherer hielt als ihren Geländewagen, und außerdem würde ihre Frisur bei der Ankunft in Truro hoffnungslos ruiniert sein, doch sie gab widerwillig nach, als er sagte, es habe ja nicht viel Sinn, ein Cabrio zu fahren, wenn man an einem schönen Tag auf dem Cape nicht das Dach öffne.
    »Das da war die Route 6«, bemerkte sie, als er unter der Schnellstraße hindurchfuhr, die vierspurig ausgebaut war und die kürzeste Verbindung zum nördlichen Teil darstellte.
    »Haben wir’s denn eilig?« Er hatte vor, die zweispurige 6A zu nehmen, die viel schönere Aussichten bot und näher an der Küste entlangführte. Wenn sie an einer guten Stelle vorbeikamen, würden sie anhalten und die Asche seines Vaters ausstreuen.
    »Nein«, sagte Joy, »haben wir nicht.«
    Es war ein warmer Tag, aber die Gefühlstemperatur war rapide gefallen.
    »Kann ich mal dein Handy haben? Ich hab vergessen, meins aufzuladen, und jetzt läuft es auf Reserve.«
    Auf Reserve? Weil sie vergessen hatte, ihm Saft zu geben? Griffin machte den Mund auf, schloss ihn wieder und reichte ihr kommentarlos sein Handy. Nach dem Fest gestern Nacht war es noch viel zu früh, Laura anzurufen, aber auch dazu sagte er lieber nichts.
    »Hallo, mein Schatz«, sagte Joy, nachdem es mehrmals geläutet hatte. »Hab ich dich geweckt? Oh, tut mir leid. Ich wollte dir nur noch mal sagen, wie sehr wir uns freuen.«
    Mit aufgeklapptem Dach konnte Griffin die Stimme seiner Tochter hören, aber nicht verstehen, was sie sagte.

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