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Diese alte Sehnsucht Roman

Diese alte Sehnsucht Roman

Titel: Diese alte Sehnsucht Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Russo
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nach Mitternacht waren sie so erschöpft, dass sie aufhörten, und seitdem lager wach und hörte der Uhr auf dem Nachttisch zu, die jedes Mal leise summte, wenn der große Zeiger um eine Minute vorrückte. Es war schon erstaunlich, wie viele schlechte Gedanken man in die sechzig Sekunden zwischen zwei Summtönen packen konnte.
    Als er Joy schluchzend unter der Dusche hatte stehen sehen, hatte ein Teil von ihm gewusst, dass es irgendetwas mit Tommy zu tun hatte. Selbst damals, als Tommy und Elaine noch verheiratet gewesen waren und sie zu viert Kurztrips nach Mexiko gemacht hatten, war ihm bewusst gewesen, dass sein Freund in Joy verliebt war. Wenn sie auf dem Balkon ihres Hotelzimmers an einer wichtigen Szene arbeiteten und er von der Schreibmaschine aufblickte und sah, dass Tommy auf den Pool starrte, wusste er, dass sein Blick nicht auf Elaine, sondern auf Joy gerichtet war. Und sein Partner gab sich auch keine Mühe, diese Tatsache zu verbergen. »Du Glückspilz«, sagte er, bevor sie sich wieder an die Arbeit machten. Es gehörte zur Geschichte ihrer Freundschaft, dass Griffin von Geburt an vom Glück begünstigt war. Seine Eltern waren Professoren, und er war auf gute Schulen gegangen, die ihm ausnahmslos Begabung bescheinigt hatten. Tommy war einige Jahre älter und in Pflegeheimen aufgewachsen, er hatte sich in öffentlichen städtischen Schulen prügeln müssen, seine Dyslexie war unentdeckt geblieben, und jeder, einschließlich seiner selbst, hatte ihn für dumm und faul gehalten. Nach der Schule kam die Armee, dann das Gemeindecollege, wo er und Elaine einander kennengelernt hatten, und schließlich ein mieser Job in einem Studio. »Wir sind beide Glückspilze«, sagte Griffin dann mit einer ausholenden Geste, die ihre beiden wunderbaren Frauen, den von Palmen umstandenen Pool mit Bar, das Meer gleich jenseits der rosafarbenen Mauer und die Reiseschreibmaschine einschloss, die ihnen das alles ermöglichte. »Ja, ja«, erwiderte Tommy immer, »aber es gibt solches und solches Glück.«
    Ab welchem Punkt waren seine Gefühle für Joy erwidert worden? Das hatte Joy ihm nicht sagen wollen, mit der Begründung, es sei vollkommen bedeutungslos, und so verbrachte er die Nacht damit, in Gedanken rückwärts durch ihre Ehe zu scrollen, unter besonderer Berücksichtigung der Zeiten, in denen er sich nicht gut verhalten hatte. Davon hatte es, wie er zugeben musste, etliche gegeben. Hatte sich seine Frau schon an dem Tag in Tommy verliebt, als sie Griffin gesagt hatte, sie hasse Jazz? Wahrscheinlich nicht, aber der Same mochte damals gelegt worden sein. Etwa zur selben Zeit hatte Tommy verzweifelt versucht, seine leibliche Mutter zu finden. »Herrgott, warum denn bloß?«, fragte Griffin ihn eines Nachts. Alle waren schon ein bisschen betrunken, und er wollte seinen Freund von einem Wunsch befreien, dessen Erfüllung ihn nur enttäuschen konnte. »Merkst du denn gar nicht, was für ein Glück du hast?«
    »Griffin«, mahnte Joy ihn zur Vorsicht.
    »Nein, sieh ihn dir an.« Griffin wandte sich direkt an sie. »Er reist ohne Gepäck. Er geht als freier Mann durchs Leben. Er besitzt große, bislang ungenutzte Vorräte jener Unwissenheit, zu deren Belohnung Glück erfunden worden ist.«
    »Ja«, sagte Tommy, »aber die Sache ist: Sie ist irgendwo da draußen. Und sie ist jetzt älter. Die Dinge ändern sich. Und wenn sie sich jetzt wünscht, sie hätte mich nie verlassen? Wenn sie mir nun sagen will, wie leid es ihr tut?«
    »Das ist eben so eine Eltern-Sache, die du nicht verstehst«, erklärte Griffin. »Sie entschuldigen sich nicht. Wir entschuldigen uns. Nimm zum Beispiel das letzte Wochenende.« Wieder wandte er sich zu Joy, die wusste, was kam, und ihn nicht ansah. »Wir sollen in Sacramento antreten. Die Zwillinge haben Geburtstag. Der ganze Rest der Familie wird da sein, also sollen wir natürlich ebenfalls kommen. Momma Jill redet und redet. Als sie endlich aufhört, erklären wir ihr –«
    » Wer  hat es ihr erklärt?«, unterbrach ihn Joy.
    »Es sind deine  Eltern«, sagte Griffin.
    Tommy und Joy wechselten einen leidenden Blick.
    »Wir erklären ihr«, fuhr Griffin fort, »dass dieses Drehbuch einen knappen Abgabetermin hat –«
    »Wieder mal«, fügte Joy hinzu.
    »Und?«, sagte Griffin. »Ende der Diskussion? Wohl kaum. Denn jetzt ist Poppa Jarve dran –«
    »Du hast versprochen , dass du das nicht mehr sagen würdest«, sagte Joy und starrte noch immer ins Leere. Griffin nannte seinen Schwiegervater

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