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Diese alte Sehnsucht Roman

Diese alte Sehnsucht Roman

Titel: Diese alte Sehnsucht Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Russo
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Pflanzen im Vorgarten Unkraut. Beim Geräusch der Wagentür blickte sie hoch und kam, als Griffin auf sie zuging, mühsam auf die Beine. »Das Alter ist eine Plage«, sagte sie und beschattete wie ein indianischer Kundschafter mit der Hand die Augen. »In so einem Wagen möchte ich noch mal fahren, bevor ich sterbe.«
    »Dann sind Sie vielleicht die Frau meiner Träume«, sagte Griffin.
    »Und wer ist dann das?«, fragte sie und deutete auf Joy.
    »Meine Frau. Sie hasst Cabrios.«
    »Wegen der Frisur, stimmt’s?«
    Er nickte.
    »Eine gut aussehende Frau. Was kann ich für Sie tun?«
    »Das war mal eine Pension«, sagte er, obwohl er wusste, dass das für sie wohl nichts Neues war. »Meine Frau und ich haben hier die Flitterwochen verbracht. Vor vierunddreißig Jahren.«
    »Und beinahe so lange gehört es mir«, sagte sie, drehte sich um und betrachtete das Haus. »Ich hab’s zusammen mit meinem Mann gekauft. Und dann ist der Scheißkerl hingegangen und gestorben.«
    »Das tut mir leid.«
    » Ihnen  tut’s leid?«
    Sie wandte sich zu ihm und musterte ihn. Sie hatte die blassesten, durchdringendsten blauen Augen, die er je gesehen hatte, voller Freundlichkeit, aber mehr noch voller Intelligenz. Er hätte nur ungern seinen Lebensunterhalt damit verdient, sie anzulügen. Sie sah in Joys Richtung. »Was ist los?«
    »Wir haben uns gestritten.«
    »Das tut mir leid.«
    » Ihnen  tut’s leid?« erwiderte er. »Können Sie uns eine Pension in Truro empfehlen?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Zwischen hier und Provincetown gibt’s praktisch nur Motels, die meisten ziemlich schäbig. Wenn Sie was Nettes suchen, sollten Sie zurückfahren Richtung Wellfleet, da gibt’s ein paar schöne Pensionen.«
    »Danke. Wir werden uns an Ihren Rat halten.«
    »Tun Sie das.«
    »Wenn Sie erlauben: Ich glaube, aus dem Mund einer Frau Ihrer Generation habe ich das Wort ›Scheißkerl‹ noch nie gehört.«
    »Ich war mal Schriftstellerin. Ich liebe Worte noch immer, ihren Klang. Mein neuestes Lieblingswort ist ›Furzhammer‹, aber mir fällt kein Satz ein, in dem ich es unterbringen könnte.«
    »Was haben Sie denn geschrieben?«
    »Hauptsächlich Biografien. Auch ein paar Gedichte, wenn es mich mal überkommen hat. ›Seltsame Leidenschaft hab ich gekannt …‹«
    »›Doch werd’ ich nur ins Ohr der Liebsten / Flüstern, wie sie einst mich hat gebannt‹«, fuhr er fort. Sofern die Tatsache, dass er diese Zeilen auswenig konnte, die Frau beeindruckte, ließ sie es sich nicht anmerken. »Meine Eltern waren Professoren für englische Literatur«, erläuterte er und unterdrückte den Impuls, ihr auch zu verraten, dass einer davon sich im Kofferraum seines Wagens befand. »Ich übrigens auch. Und ebenfalls Schriftsteller.«
    »Ha!«, sagte sie. »Kein Wunder, dass Ihre Frau weint.«
    Sie hatte recht: Joy weinte. Sie hatte nicht geweint, als er ausgestiegen war, aber jetzt weinte sie. Stumm, aber ohne ihre Tränen zu verbergen.
    »Gehen Sie zu ihr«, schlug die Frau vor.
    »Kann ich nicht hierbleiben?«
    »Nein, tut mir leid.«
    Im Wagen atmete er tief durch. »Willst du es mir nicht sagen, Joy? Ich weiß, dass du ihn angerufen hast, als ich unter der Dusche war.« Er hatte Tommys Namen im Menü Kürzlich gewählte Nummern gesehen.
    Sie tat nicht, als wüsste sie nicht, was er meinte, und dafür war er dankbar. Sie wischte die Tränen mit dem Handrücken ab, und für einen Augenblick saßen sie einfach nur da. Die alte Frau jätete wieder Unkraut, auch wenn Griffin das deutliche Gefühl hatte, dass sie sie nicht vergessen hatte.
    Schließlich sagte Joy: »Wenn du willst, können wir darüber sprechen. Aber erst, wenn du deine Mutter zurückgerufen hast.«
    »Warum?«
    »Weil sie deine Mutter ist. Weil du sie angeschrien hast. Weil sie alt ist. Weil du nur eine Mutter hast.«
    In dieser Nacht kehrte Griffins Schlaflosigkeit mit Macht zurück, offenbar als Rache für den guten Schlaf in der Nacht zuvor. Eins musste man Joy lassen: Sie hatte versucht, den Streit abzuwenden. »Wir müssen das nicht tun«, sagte sie, nachdem er seine Mutter angerufen, auf ihrem Anrufbeantworter eine Entschuldigung für seinen Ausfall hinterlassen und versprochen hatte, später in der Woche noch einmal anzurufen, um seinen Besuch zu besprechen. »Es gibt keinen Grund. Es ist nichts passiert.«
    Doch sie schien zu wissen, dass sie sich streiten würden und dass dieser Streit der heftigste, bitterste und verletzendste ihrer ganzen Ehe sein würde. Irgendwann

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