Diese alte Sehnsucht Roman
länger oder besser geschlafen hatte als er selbst, und so war er nicht überrascht, als sie etwas sagte.
»Musst du das wirklich jetzt tun? Hast du mal rausgesehen?«
»Es dauert nicht lange. Schlaf weiter.«
Draußen war Wellfleet in dichten, wabernden Nebel eingehüllt. Sie hatte natürlich recht. Es wäre vernünftiger gewesen zu warten, bis der Nebel sich aufgelöst hatte, doch Griffin war entschlossen, ohne weiteren Verzug die lächerlichsten Vorwürfe seiner Frau zu entkräften. Später am Vormittag würden sie nach Falmouth fahren, wo Joys Wagen stand, und dann nach Connecticut zurückkehren, in das Leben, das sie so gründlich untergraben hatten.
Es war viel zu feucht, um das Dach aufzuklappen, aber er tat es trotzdem, in der Hoffnung, dann besser sehen zu können. Als er auf der mit Muschelkies bestreuten Einfahrt langsam zur Straße fuhr, wurde die Pension vollkommen vom Nebel verschluckt, und sein Hemdkragen war nass und kalt. Entfernt hörte er das einsame Läuten einer Boje, hätte aber nicht sagen können, woher das Geräusch kam.
Der Anlegesteg des Städtchens war wahrscheinlich die beste Lösung. Möglicherweise waren sogar jetzt schon irgendwelche Leute dort, aber niemand, der ein paar Meter entfernt stand, würde ihn sehen, geschweige denn erkennen können, was er dort tat. Vorausgesetzt natürlich, er fand den Anlegesteg überhaupt. Aber selbst wenn nicht, war das auch nicht weiter schlimm. Abgesehen von der Nordspitze bei Provincetown war das Cape hier, bei Wellfleet, am schmalsten – nur ein paar Kilometer breit. Man konnte nicht weit in irgendeine Richtung fahren, ohne auf Wasser zu stoßen, auf eine Bucht oder einen Süßwasserteich. Mit einer Geschwindigkeit, die der Tachometer kaum anzeigte, kroch er voran, wobei er angestrengt in die graue Suppe spähte und darauf vertraute, dass er ein Hindernis sehen würde, bevor er es rammte. Es wäre auch zu ironisch, gerade dann einen Unfall zu haben, wenn er unterwegs war, um die Asche eines Mannes zu verstreuen, dem ständig irgendwelche Unfälle passiert waren.
War er je im Leben so erschöpft gewesen wie jetzt? Das lag zum Teil daran, dass er nicht geschlafen hatte, doch was ihn wirklich ausgelaugt hatte, war der Streit. Natürlich waren Auseinandersetzungen für ihn und Joy nichts Neues. Welches Paar, das seit vierunddreißig Jahren verheiratet war, hätte das von sich behaupten können? Gewöhnlich ging es dabei jedoch um ein klar umrissenes Problem – es ging um etwas Konkretes, nicht um alles. Und so hatte der gestrige Streit auch begonnen: mit dem Eingeständnis seiner Frau, dass sie eine Zeit lang Liebe oder etwas, das dem nahekam, für seinen alten Freund empfunden hatte. Doch diese klare Umgrenzung war rasch durchbrochen worden von Joys Behauptung, das eigentliche Thema sei nicht Tommy, sondern er. Seit dem Tod seines Vaters vor neun Monaten, sagte sie, sei seine Unzufriedenheit geradezu mit Händen zu greifen, und als Beweis führte sie seine Begeisterung angesichts der Aussicht auf einen Drehbuchauftrag an. Er wolle, behauptete sie, sein altes Leben zurück, er wolle wieder jung und frei sein. Sie verstehe, dass der Tod eines Elternteils einem den Boden unter den Füßen wegziehen könne – schließlich habe sie ja selbst ihre Mutter verloren. Aber wieder nach L.A. zu ziehen (und das, beharrte sie, sei sein Plan, für den der Besuch nächste Woche nur die Eröffnung sei), werde keinen von ihnen wieder jung und ihn, dessen sei sie sich ganz sicher, nicht glücklich machen.
Griffin lachte über die Behauptung, er habe infolge des Todes seines Vaters »den Boden unter den Füßen« (oder auch nur die Orientierung) verloren, und obwohl er widerwillig zugab, der Gedanke, nach L.A. zurückzukehren und – ja, verdammt – wieder ins Spiel einzusteigen, sei reizvoll, bestritt er kategorisch, dass er sich irgendwelchen Illusionen hingab, er könnte dadurch jünger werden. Wenn überhaupt, würde die Westküstenkultur die gegenteilige Wirkung haben und ihn sein Alter noch deutlicher spüren lassen. Aber musste die Tatsache, dass sie nicht mehr jung waren, denn bedeuten, dass sie sich vorzeitig gealtert fühlten? Warum den Rest des Lebens in Fakultätssitzungen verbringen und in denselben drei, vier Restaurants essen, in Gesellschaft der immer selben langweiligen Akademiker? Mussten sie denn wirklich so verwurzelt sein? War das denn nicht dasselbe wie »zur Ruhe kommen«? Sie hatten L.A. wegen Laura verlassen, aber die war jetzt
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