Diese alte Sehnsucht Roman
hatte, sie in ihrem neuen Zuhause zu besuchen und ihr die gewünschten Bücher und Zeitschriften zu bringen. »Vielleicht kann ich das, was du brauchst, auch hier auftreiben«, hatte er gesagt, nachdem er ihr erklärt hatte, wo er war und warum er dort war – oder jedenfalls den kleinen Teil, den sie wissen sollte. »Es reicht, wenn ich sie im August bekomme«, hatte sie geantwortet und damit seinen Verdacht bestätigt, dass sie die Bücher eigentlich gar nicht brauchte. Das Gespräch war kurz gewesen, verdächtig kurz, wie er fand. Es war beinahe, als wäre sie erleichtert, dass er seinen Besuch verschieben musste. Seitdem hatte sie, was noch eigenartiger war, nicht mehr angerufen. Für sie war der Sommer die Zeit, in der sie einem auf die Nerven gehen konnte.
»Mom«, sagte er, »wie geht’s dir?«
Doch es war nicht seine Mutter. Die Frau am anderen Ende stellte sich als Gladys vor, eine Nachbarin und Freundin. Sie habe sich Sorgen gemacht, als Mary am Morgen nicht auf ihr Klopfen reagiert habe, erklärte sie. Sie hätten auf Gegenseitigkeit verabredet, aufeinander achtzugeben, was bedeute, dass jede einen Schlüssel für die Wohnung der anderen habe, für den Notfall oder wenn eine von ihnen sich ausgesperrt habe.
Dies war ein Notfall. Sie hatte Griffins Mutter im Bett gefunden, noch im Nachthemd, die Vorhänge mitten am Tag zugezogen. Seine Mutter hatte ins Leere gestarrt und um Atem gerungen, kaum noch bei Bewusstsein, nicht ansprechbar. Die Rettungssanitäter hatten gesagt, es sei ein Herzinfarkt. Sie hatten ihr eine Sauerstoffmaske aufgesetzt und sie vor wenigen Minuten ins Krankenhaus gebracht. »An ihrem Kühlschrank hängt ein Zettel mit Ihrer Nummer«, sagte Gladys. »Ich hoffe, sie ist mir nicht böse, dass ich Sie von ihrem Apparat aus anrufe. Ich hätte natürlich meinen eigenen nehmen können, aber ich hab nicht daran gedacht.«
Griffin sagte ihr, er sei sicher, das gehe in Ordnung.
»Sie hat sich in letzter Zeit nicht gut gefühlt«, sagte Gladys.
»Davon wusste ich nichts.«
»Sie hat ja nie viel gesagt.«
Seit wann das denn? , dachte Griffin. Sprachen sie über dieselbe Frau?
»Wir sind eigentlich nicht befreundet«, gab Gladys zu. »Das sagt man nur so. Wenn man ganz allein ist, braucht man jemand, der in der Nähe ist.« Griffin musste hart schlucken. »Ich bin mir nicht mal sicher, ob Ihre Mutter mich überhaupt einigermaßen mag, aber ich hatte kein Problem, diese Sache auf Gegenseitigkeit mit ihr zu vereinbaren. Sie konnte sehr nett sein, wenn sie wollte.«
Griffin dankte ihr und sagte, er werde den nächsten Flug nehmen. Dann legte er auf und blieb auf dem Balkon stehen, bis Tommy den Kopf durch die Tür streckte, um nach ihm zu sehen. »Scheiße«, sagte sein Freund, als Griffin ihm erzählte, was geschehen war, und sagte, er werde sofort nach Indiana fliegen.
Tommy bestand darauf, ihn zum Flughafen zu fahren. In der Kurzparkzone verabschiedeten sie sich unbeholfen, wie ein Ehepaar mitten in einem Streit.
»Ist es okay, wenn ich Joy davon erzähle?«
»Mir wäre es lieber, du würdest das nicht tun.«
»Vielleicht tue ich es trotzdem.«
Griffin sah keinen Grund, darüber zu streiten. »Ich lasse dich wissen, wie es aussieht, sobald ich Näheres weiß.«
Sie schüttelten sich die Hände.
»Ich hab dir nie erzählt, dass ich meine Mutter gefunden habe.«
»Im Ernst?«
Tommy nickte.
»Und?«
»Du hattest recht.«
Das Hedges lag an der Spitze der Halbinsel und war an drei Seiten von Wasser umgeben. Das Hauptgebäude war ein hochherrschaftliches altes Haus mit einer riesigen Veranda, eingefasst von zweieinhalb Meter hohen Eiben, die sorgfältig zu einer dichten Hecke gestutzt waren. Weiter unten auf dem abschüssigen Rasen standen noch mehr Hecken, die, wie Griffin vermutete, ein Labyrinth bildeten. Als er auf den kiesbestreuten Parkplatz fuhr, sah er Joys Schwester June, im Schlepptau ein weinendes Kind, durch eine Lücke in der Hecke treten. Die beiden waren ein Stück weit entfernt, doch hier war es unglaublich still, vor allem, wenn man an L.A. gewöhnt war, und so konnte er June sagen hören: »Ach, mein armer Schatz, hast du dich verirrt? Hat Grammy es dir nicht gleich gesagt?«
Die Hochzeitsprobe und das Essen würden erst in einer Stunde beginnen. Griffin hatte gedacht, es wäre gut, früh da zu sein, doch nun wünschte er, er hätte sich mehr Zeit gelassen. In der Nähe des Gebäudes standen ein paar Wagen. Der Parkplatz war riesig, groß genug für einen
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