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Diese alte Sehnsucht Roman

Diese alte Sehnsucht Roman

Titel: Diese alte Sehnsucht Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Russo
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verriet Verwirrung, und Griffin rätselte über den Grund, bis ihm bewusst wurde, dass er auf dem Weg vom Parkplatz zum Haus, ohne es zu merken, Joys Hand genommen hatte.
    »Daddy« , sagte seine Tochter halb erstickt, und Griffin war froh, dass ihm nichts einfiel, was er hätte sagen können, denn er hätte keinen Ton herausgebracht.
    »Ich habe nicht den leisesten Zweifel«, versicherte Laura ihm, als sie den Irrgarten betraten.
    Sie und Andy hatten sich soeben verabschiedet, als würden sie für eine Ewigkeit getrennt sein, und nun drehte sie sich noch einmal um und winkte ein letztes Mal, bevor ihr Verlobter und ihre Mutter außer Sicht waren. Ihr Vorschlag, sie beide könnten doch im Irrgarten spazieren gehen, schien weder Andy noch Joy zu verwundern, und das machte Griffin stutzig. Hatten sie noch einmal über Griffins Anwesenheit bei der Hochzeit nachgedacht und sich dagegen entschieden? Hatte Laura vor, es ihm zwischen den hohen Eibenhecken zu erklären, ohne Zeugen, für den Fall, dass er in Tränen ausbrach? Aber natürlich wusste er es besser, also atmete er tief durch und entspannte sich. Bei Lauras Wunsch nach einem privaten Vater-Tochter-Gespräch ging es nicht um ihn oder die unzähligen Male, die er sie und ihre Mutter seit Kelseys Hochzeit enttäuscht hatte. Sie war die Braut, und beruhigendes Einwirken seitens des Vaters gehörte zum Programm. Genieß es, dachte er. Wer weiß, wie lange es dauert, bis deine Anwesenheit das nächste Mal nötig sein wird?
    »Andy ist wunderbar, mein Schatz«, sagte er, legte einen Arm um ihre Schultern und empfand eine Welle von Dankbarkeit, als sie sich an ihn schmiegte. »Es ist schwer vorstellbar, dass es irgendeinen gibt, der verliebter in dich ist als er – ausgenommen natürlich dein alter Vater.« Damit wollte er sie zum Lächeln bringen, doch wie es schien, machte es seine Tochter nur noch nachdenklicher. Eine Zeit lang sagten sie gar nichts und gingen, mal linksherum, mal rechtsherum, in das Labyrinth, bis er vollkommen die Orientierung verloren hatte.
    »Wenn ich mir über jemand Sorgen mache, dann über mich«, sagte sie. »Was, wenn ich ihm schließlich wehtue?«
    »Warum solltest du das tun?«, fragte er und wurde erneut von einer Welle von Schuld überrollt. Hätte seine Tochter auch vor einem Jahr solche Selbstzweifel gehabt, oder lag das an ihm?
    Sie waren jetzt, wie Griffin vermutete, am anderen Ende des Irrgartens, wo man rücksichtsvollerweise eine Parkbank aufgestellt hatte. Sie setzten sich. Es war dunkler hier, denn durch die dunklen Zweige drang nur sehr wenig des schwindenden Tageslichts, und für einen Augenblick überkam Griffin die kindliche, irrationale Angst, sie würden nicht mehr hinausfinden. Laura würde ihre Hochzeit verpassen, und auch das wäre seine Schuld. Er nahm ihre Hand und wusste nicht, ob er Trost spenden oder empfangen wollte.
    »Hast du auch manchmal das Gefühl, nicht der zu sein, für den die Leute dich halten?«, sagte sie. »Als würdest du dich verstellen, als wärst du gar nicht der Mensch, den die Leute kennen und mögen? Und das Schlimmste ist, dass alle es dir glauben.«
    »Jeden Tag«, sagte er. »Wenn ich mich nicht irre, ist es das, was man mit dem Wort ›Erbsünde‹ meint. Nur Soziopathen bleibt es erspart. Das Dumme ist nur: Wenn du es dir zu Herzen nimmst, kannst du nie irgendetwas tun, nie nach irgendeiner Art von Glück streben, aus Angst, jemandem wehzutun.«
    »Dann soll ich es einfach ignorieren?«
    »Das tun alle.«
    Sie schien nicht ganz überzeugt. »Ich hab in letzter Zeit viel über Grandma nachgedacht«, sagte sie.
    Das überraschte ihn, und er zögerte mit einer Antwort. Halb erwartete er, dass seine Mutter, die immerhin in Rufweite gleich hinter diesen Hecken war, ihre Ansicht kundtun würde. Vielleicht hatte sie sich im Labyrinth verirrt. »Und weißt du, warum?«
    Sie zuckte die Schultern. »Ich glaube, weil ich sie im Dezember so gesehen habe, mit all diesen Schläuchen und dem Sauerstoff. Sie kam mir so winzig vor, als wäre gar nichts mehr von ihr übrig.«
    Er erinnerte sich nur zu gut. Sie hatte Griffins Mutter im Dezember besucht, nur ein paar Wochen vor dem Ende. Zu diesem Zeitpunkt hatte Griffin sich, geistig und emotional erschöpft, ein Zimmer in einem Motel in der Nähe des Krankenhauses genommen. Die Ärzte hatten ihm gesagt, dass Patienten wie seine Mutter, wenn sie auf Morphium gesetzt seien, manchmal noch monatelang lebten, doch er hatte den Eindruck, dass seine Mutter

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