Diese alte Sehnsucht Roman
so siehst.«
Laura setzte sich auf. »Ich weiß nur, dass ich ihm nie das Herz brechen will.«
»Das wirst du nicht.«
»Versprochen?«
»Absolut.«
Hätte er diese Szene in einem Drehbuch geschrieben, dann hätte das Gespräch nicht hier geendet. Seine Filmtochter hätte die naheliegenden Fragen gestellt: Wie konnte er ihr versprechen, dass sie nie das tun würde, was er gerade tat? War sie denn nicht seine Tochter? Aber dies war kein Drehbuch, und seine wirkliche Tochter war zu gutherzig, um auszusprechen, was sie dachte, vielleicht sogar zu gutherzig, um es überhaupt zu denken.
»Ich frage mich die ganze Zeit, ob du mir je verzeihen wirst.«
»Ach, das habe ich schon«, sagte sie, rempelte ihn spielerisch mit der Schulter an und erhob sich. Offenbar näherte sich der Vater-Tochter-Teil des Programms seinem Ende. »Aber ich bin immer noch ziemlich sauer auf dich«, gab sie zu.
»Ich weiß«, sagte er und stand ebenfalls auf. »Ich auch.«
Als sie den Irrgarten verließen, sagte sie: »Und noch etwas hat Großmutter mir gesagt. Über dich.«
»Und das wäre?«, fragte er, obwohl er nicht sicher war, dass er es hören wollte.
»Sie hat gesagt, du würdest es nie zugeben, aber du wärst genau wie sie.«
Ganz recht , sagte seine Mutter sehr zufrieden.
Alle benahmen sich vorbildlich, wie Joy es versprochen hatte. Griffin hatte kaum ein Glas Wein in der Hand, als Jared – angesichts des rasierten Schädels musste es wohl Jared sein – auf ihn zukam und ihm die Hand hinstreckte. Griffin sah keinen Grund, sie nicht zu schütteln. Welcher Bruder es auch war – er sah aus wie das, was er war: ein Marine. Kantiges Kinn, breiter Nacken, ungewöhnliche Muskeln. »Also«, sagte er und hielt Griffins Hand mit festem Griff, »nichts für ungut.«
Jared also. Memo an mich selbst: Jared – kahl, Jason – Haar. Ja, sagte Griffin, von ihm aus gern.
Die Zwillinge waren ein Familienrätsel. Sie waren beinahe zehn Jahre jünger als Joy (Jane und June waren älter als sie, und zwischen den Mädchen lagen regelmäßige Abstände von zwei Jahren) und besaßen ein vollkommen anderes Temperament. Als Jungen machten sie Jill und Harve Sorgen, weil sie ständig und verbissen miteinander stritten und keiner von ihnen sich je an die Eltern wandte, damit diese vermittelten oder ein Urteil sprachen. Sie kämpften bis aufs Blut, und auch dann hörten sie noch lange nicht auf. Doch mit einem Mal war es damit vorbei. Anstatt sich gegenseitig an die Kehle zu gehen, deckten sie einander den Rücken. Mit der überschüssigen Energie betrieben sie Bodybuilding und machten harmlose und manchmal auch nicht so harmlose Scherze über ihren Vater, anfangs heimlich, später auch ganz offen. Keiner von beiden hatte geheiratet. Sie waren jetzt in den Vierzigern und fanden noch immer Gefallen an Heavy-Metal-Musik und Stripclubs sowie den Frauen, die man dort kennenlernte.
»Ist wohl so – jede Geschichte hat zwei Seiten«, sagte Jared, und der Wurm, der sich unter der Haut an seiner Schläfe wand, verriet, was dieser Großmut ihn kostete. »Wenn’s hart auf hart geht, stehe ich natürlich auf der Seite meiner Schwester, aber …«
»Ich stehe eigentlich auch auf ihrer Seite«, sagte Griffin, zum einen, weil es stimmte, zum anderen, weil es ihm wie eine gute Idee erschien, Jared zu verstehen zu geben, dass es nicht hart auf hart gehen musste: keine Faustschläge, keine Tritte, keine Kastration. Das alles hatte offenbar irgendwann zur Debatte gestanden. Bruder Jason (eigentlich nicht Haar, sondern Stoppeln) beobachtete sie von der anderen Seite des Raums, mit einem Gesichtsausdruck, für den das Wort mörderisch vermutlich ein wenig zu stark war. »Ich habe gehört, dein Bruder hat seinen Abschied genommen«, sagte Griffin, ehrlich verwundert, dass einer der beiden zu einem so ausgeprägt individualistischen Schritt imstande gewesen war.
Jared schnaubte, sah über die Schulter zu seinem Bruder und erhob die Stimme, damit der ihn hören konnte. »Ja, Jason war schon immer ein Schlappschwanz.«
»Wir werden ja sehen«, rief sein Bruder zurück. »Wart’s nur ab.«
Joys Vater saß tatsächlich in einem Rollstuhl an der rückwärtigen Wand. Eine hochgewachsene, kantige Frau, bei der es sich, wie Griffin annahm, um Dot handelte, stand neben ihm Wache, und als Griffin sich näherte, beugte sie sich zu Harve hinunter wie ein Lobbyist zu einem Politiker und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Um ihn daran zu erinnern, wer Griffin war? Dass er und
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