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Diese alte Sehnsucht Roman

Diese alte Sehnsucht Roman

Titel: Diese alte Sehnsucht Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Russo
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»Deine Großmutter hat viele Ansichten«, sagte Griffin zu ihr. »Das heißt aber nicht, dass man ihnen viel Gewicht beimessen soll.« Damit fischte er natürlich im Trüben – er war neugierig, wie viele und welche Ansichten seine Mutter ihrer Enkelin mitgeteilt hatte. »Ach, ich weiß nicht«, sagte Laura unverbindlich, »sie hat ein paar gute Ideen.« Aber sie sagte nicht, wie diese lauteten.
    Joy ermahnte ihn, sich nicht einzumischen. Laura sei alt und intelligent genug, um Ideen abzuwägen, und man müsse seine Mutter nicht wie eine giftige Schlange behandeln. Er gab widerwillig nach, doch als seine Mutter vorschlug, sie könne doch diejenige sein, die Laura auf der »Großen Amerikanischen College Tour«, wie sie alle es nannten, nach Yale, Columbia und Cornell begleitete, legte er sein Veto ein. »Tut mir leid, Mom«, sagte er und schaffte es mit großer Anstrengung, nicht die Stimme zu erheben, auch wenn er seine Wut nicht verhehlen konnte, »aber ich werde nicht zulassen, dass du meine Tochter mit Bitterkeit und Snobismus infizierst. Das findet hier, bei mir, ein Ende.«
    Das waren schreckliche Sätze, erfüllt von eben derselben Bitterkeit, die er ihr vorwarf. Er bereute die Worte, kaum dass er sie ausgesprochen hatte, doch er konnte sie nicht zurücknehmen. Und ebenso wenig konnte er sich dazu durchringen, sich zu entschuldigen.
    »Du musst sie noch mal anrufen«, sagte Joy, als er es ihr gestanden hatte.
    Doch das tat er nicht. Und er blieb fest und ließ nicht zu, dass sie Laura begleitete. Das tat er selbst. Sie kamen nie mehr auf diese Angelegenheit zurück, aber er kannte seine Mutter zu gut, um zu glauben, sie habe es vergessen. Für sie war der Besuch ihrer Enkelin im Krankenhaus zweifellos eine Art Rache – so kam es ihm jedenfalls vor, als er im Schwesternzimmer saß und in Gedanken den Minutenzeiger der großen Wanduhr antrieb. Am Ende der Stunde schien es Laura gutzugehen, aber sobald sie im Wagen saßen, brach sie zusammen und weinte auf dem ganzen Weg zum Flughafen. Obwohl er es besser hätte wissen sollen, überraschte ihn die Größe ihres Kummers. Sicher musste sie mit der Tatsache zurechtkommen, dass sie ihre Großmutter wahrscheinlich zum letzten Mal gesehen hatte – aber da schien noch mehr im Spiel zu sein, als würde sie auch darüber trauern, dass ihr jemand, der für sie wichtig hätte sein sollen, fremd geblieben war. Und wessen Schuld war das? Die seiner Mutter, weil sie bis vor Kurzem keinerlei Interesse gezeigt hatte? Die Versuchung war groß, ihr die volle Verantwortung zu geben, aber im Grunde seines Herzens wusste Griffin, dass er sich, hätte sie schon früher Interesse an Laura gezeigt, nur um so früher zwischen die beiden gestellt hätte. Er hatte sie behandelt wie eine Schlange, weil er, Gott stehe ihm bei, glaubte, dass sie eine Schlange war.
    »Ich dachte, sie wollte alles Mögliche über den Mann wissen, den ich heiraten werde«, sagte Laura jetzt, und ihre Augen schwammen in Tränen bei der Erinnerung an ihren tatsächlich letzten Besuch im Krankenhaus, »aber als ich ihr von ihm erzählen wollte …«
    Griffin wartete, doch da seine Tochter den Satz nicht vollenden konnte, sprach er ihn aus. »Sie war nicht besonders neugierig?«
    »Ich weiß nicht«, sagte sie und wischte mit dem Handgelenk über ihre Augen. »Wenn ich über Andy rede, setzt bei meinen Freundinnen der Würgereflex ein. Alle sagen, wir sind ekelerregend verliebt.«
    »Glück ist nicht gerade ein Zuschauersport, Schatz.«
    »Stimmt wahrscheinlich. Jedenfalls hab ich Grandma ein paar Sachen über Andy erzählt, aber dann hat sie mich unterbrochen und gesagt: ›Du musst härter werden.‹ Als ich sie fragte, warum, sagte sie: ›Die Ehe ist ein Kampf. Der eine verletzt, der andere wird verletzt. Der eine fügt zu, und dem anderen wird zugefügt.‹«
    »Du weißt, dass sie Morphium bekommen hat, oder?«
    »Was mich so beschäftigt, ist nicht so sehr das, was sie gesagt hat, sondern die Art, wie sie mich dabei angesehen hat – als könnte sie tief in mich hineinsehen, als wüsste sie, dass ich grausam sein kann. Und dass es Andy sein wird, der verletzt wird, nicht ich.«
    »Süße, du sagst, sie hätte in dich hineingesehen, aber das bezweifle ich. Deine Großmutter war eine Narzisstin, und die richten ihren Blick nicht nach außen. Für sie spiegelt die Welt immer nur ihre eigene innere Realität wider. Deine Großmutter betrachtete die Liebe als Falle, und darum wollte sie, dass du sie ebenfalls

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