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Diese alte Sehnsucht Roman

Diese alte Sehnsucht Roman

Titel: Diese alte Sehnsucht Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Russo
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Joy sich getrennt hatten?
    »Was?«, blaffte Harve sie an und fügte, als sie wiederholte, was sie gesagt hatte, hinzu: »Ach, ich weiß doch, wer das ist.« Er streckte eine schwache, zitternde Hand aus, und Griffin verspürte unerwartetes Mitleid. Sein Schwiegervater war immer ein robuster Mann gewesen, aber mehr auch nicht. Nun waren seine blassblauen Augen wässrig, die Lider mit Rot konturiert, als wären sie geschminkt.
    »Griffin«, sagte er, »behältst du den Kopf unten?«
    »Wenn ich ihn hochnehme, sehe ich bloß einen beschissenen Schlag«, antwortete Griffin. »Schön, dich zu sehen, Harve.«
    Der Mann nickte. »Du weißt, dass meine Frau gestorben ist?«
    »Ja«, sagte Griffin. Er war natürlich zu Jills Beerdigung gefahren und erwog, Harve darauf hinzuweisen, ließ es aber bleiben. »Ja.«
    »Er weiß es«, sagte Dot überflüssigerweise.
    »Das war hart«, sagte Harve, der das Thema noch ein wenig verfolgen wollte. »Ich hoffe für dich, dass dir so was erspart bleibt.«
    »Ich auch«, sagte Griffin. Ihm wurde bewusst, dass er Harves kognitive Fähigkeiten trotz Joys Warnung überschätzt hatte. Sofern er von ihrer Trennung wusste, hatte er sie offenbar vergessen. Entweder das oder jemand hatte ihm gesagt, dass Griffin in Begleitung erscheinen würde, und nun war es also diese Frau, von der er hoffte, dass sie nicht vor Griffin sterben würde.
    »Ich hoffe, es passiert dir nie, dass du ins Zimmer kommst, und da liegt deine Frau auf dem Boden.«
    »Harve«, sagte Dot, »du regst dich nur auf.«
    Er ignorierte sie vollkommen. »Denn das ist kein Spaß, das kann ich dir sagen«, fuhr er fort. »Eine solche Frau ist nicht zu ersetzen.«
    Dot seufzte und starrte ins Leere. Offensichtlich hatte sie diesen Satz schon oft gehört.
    »Du weißt es wahrscheinlich nicht, aber als sie starb, hat sie gerade an einem Stiefroman geschrieben.«
    Griffin sah zu Dot, die die Augen verdrehte. »An einem was?«, fragte Griffin.
    »An einem Stiefroman. Weißt du nicht, was das ist?«
    Griffin gestand es.
    »Na ja, an so einem jedenfalls«, sagte Harve. »Deine Joy ist sehr ähnlich wie ihre Mutter.«
    Ah, dachte Griffin, Joy war also noch immer seine Joy. Zumindest für ihren dementen Vater.
    »Alle drei Mädchen kommen natürlich auf ihre Mutter, aber Joy am meisten. Schon immer.«
    »Und Laura kommt auf ihre Mutter«, sagte Griffin in der Hoffnung, Harve würde diese weibliche Kontinuität tröstlich finden.
    Doch der blinzelte nur und war sich anscheinend nicht ganz sicher, wer diese Laura eigentlich war.
    »Laura ist die Braut«, erklärte Dot leise. »Wir sind zu ihrer Hochzeit hier.«
    »Natürlich sind wir das«, sagte Harve. »Denkst du, ich kenne meine eigene Enkelin nicht mehr?« Und dann, zu Griffin: »Sie denkt, ich vergesse alle möglichen Sachen, aber das stimmt nicht. Zum Beispiel du. Ich erinnere mich ganz genau, dass du nie den Kopf unten behalten hast. Ich wette, du kannst es bis heute nicht.«
    »Stimmt, Harve, ich nehme ihn immer noch hoch.«
    Harve nickte bekümmert, wie als Eingeständnis, dass Menschen zarte, zerbrechliche Kreaturen waren. Unmöglich, ihnen irgendetwas auch nur ansatzweise beizubringen, ganz zu schweigen von einer komplexen Aktivität wie Golf. »Wenn du den Kopf hochnimmst«, sagte er, sah hoch und richtete seine wässrigen Augen auf Griffin, »siehst du bloß einen beschissenen Schlag.«
    Dann wandte er den Blick ab, und Griffin merkte, dass er im Geist die gekrümmte Flugbahn des Balls verfolgte, der im dunklen Wald verschwand, wo er pochend gegen Bäume schlug.
    »Ich weiß, dass dies weder die rechte Zeit noch der rechte Ort ist«, sagte Brian Fynch, Leiter der Zulassungsstelle und somit Joys Chef. Das Probeessen war vorüber, und man hatte die Anwesenden ermuntert, zum Dessert die Plätze zu wechseln. Griffin hatte bei Andys Familie gesessen, einer kleineren Gruppe, deren Mitglieder ein wenig eingeschüchtert von der Größe und der schieren Lautstärke von Joys Familie wirkten. (Jane und June neigten zum Kreischen.) Griffin war dankbar gewesen, an ihrem Tisch zu sitzen.
    Fynch war groß, und sein Anzug war gut geschnitten und sah teuer aus. Er schien sich darin so wohl zu fühlen wie viele Männer, die täglich Anzüge tragen. Seine Frisur war frühe Beatles, lange Strähnen, die schwungvoll bis zu den Augenbrauen hingen, lachhaft, dachte Griffin unwillkürlich, für einen Mann in seinem Alter, ein paar Jahre jünger als Joy. Er taufte ihn sogleich »Ringo«. Joy hatte

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