Diese Dinge geschehen nicht einfach so
Taiwo und Kehinde rufen: »Wünsch dir was!«, wieder wie aus einem Munde, was bei beiden ein Stirnrunzeln hervorruft und bei Benson ein Lachen. »Die zwei sind also wirklich Zwillinge!« Eine Bemerkung, die alle kennen und die nun wiederum Olu veranlasst, die Stirn zu runzeln, aber er erholt sich schnell und lacht. Sadie lacht ebenfalls, und da erst bemerkt sie die Kerze: eine dicke weiße Haushaltskerze, die dicke weiße Wachstropfen produziert. Sie will schon fragen, warum so eine Kerze, schaut nach hinten zu ihrer Mutter, die, ebenfalls lachend, die Achsel zuckt, dann überlegt Sadie es sich anders.
Je kräftiger die Kerze
, denkt sie und beugt sich vor,
desto besser kann sie solche Wünsche ertragen
.
2
Taiwo zieht sich nach dem Essen ins Wohnzimmer zurück, drei flache Stufen vom Esstisch nach unten. Sie sitzt auf dem seltsam orangekarierten kleinen Sofa und blättert in einer Illustrierten,
Ghana Ovation
. Hinter ihr Fola, die mit Benson am Tisch sitzenbleibt, sie reden über die Tradition der »Phantasie-Särge«. Taiwo hört sie nur undeutlich, weil sie sich im Flüsterton unterhalten, wie Erwachsene, die nicht wollen, dass die Kinder etwas mitkriegen. So haben sie sich während der Mahlzeit gefühlt,
wie Kinder
, denkt sie, so brav und folgsam wie Schüler in einer Katholikenschule, und sie fragt sich, warum sie das alle machen, immer noch, auch jetzt noch – woher kommt diese Shownummer, diese afrikanische Hochachtung vor den Eltern? Gesenkte Blicke, gedämpfte Stimmen, vorgetäuschte Schüchternheit, hängende Schultern, der Fluch ihrer Kultur, Erhöhung durch Unterwerfung, dieser Impuls, der ihnen eingetrichtert wurde, sich gehorsam zu zeigen, die Überzeugung, dass man Lob verdient, wenn man sich an die Ordnung hält (ganz egal, ob diese Ordnung zerbröckelt, korrumpiert ist, nicht mehr vorhanden, dysfunktional; man muss ihr Respekt zollen). Sie hasst sie alle dafür, sich selbst und ihre Geschwister, das Hauspersonal, ihre afrikanischen Studienkollegen. Sie kann einfach nicht glauben, dass »Respekt« wirklich die Grundlage ist – weder für sie, die Respektvollen, noch für die anderen, die Respektierten. Sie hat den Verdacht, dass es reine Faulheit ist, Bequemlichkeit – man hält am Vertrauten fest. Oder es ist Feigheit bei Ersteren und Machtausübung bei Letzteren. Die meisten afrikanischen Eltern sind völlig machtlos aufgewachsen und konnten niemandem ihren Willen aufzwingen, und deshalb schüchtern sie ihre Kinder ein, schlagen sie und Ähnliches, um die Last der postkolonialen Angst abzuladen …
so denkt sie vor sich hin, bis sie umblättert und abrupt aus ihren Gedanken gerissen wird. Zuerst durch den Namen. Die Bildunterschrift, kleingedruckt zwischen lauter Gesichtern (Hochzeiten, Polo-Matches, Beerdigungen, das Hochglanz-Mischmasch der Gesellschaftsseiten): »Femi und Niké Savage bei …« Und dann durch das Bild.
Schuhe
und Anzug
und Hemd
und Hals
und Lächeln
und Nase
und Augen.
Diese Augen.
Schwarze Augen mit dicken Lidern blicken ihr entgegen, rot umrandet, der wilde Blick eines Mannes auf Drogen, das entsprechende Grinsen (hart, unfokussiert), die Ehefrau neben ihm, aschgrau vom Alter, die neue Perücke ein blonder Pagenkopf.
Sie schleudert das Blatt durchs Zimmer, eine Impulsreaktion. Die Zeitschrift landet mit Geraschel auf dem Boden. Fola und Benson blicken vom Tisch hoch. »Schätzchen?«, sagt Fola, aber Taiwo kann nicht sprechen. »Was ist los? Was ist passiert?«
»Ein Insekt«, ächzt Taiwo. Sie zeigt auf die Zeitschrift auf dem Boden. »Ich w-wollte ein Insekt erlegen.«
»Ach, ja – willkommen in Ghana«, lacht Benson, der nicht merkt, wie Taiwos Stimme zittert. »Dabei fällt mir ein – nehmt ihr alle was gegen Malaria? Diese Moskitos können Killer sein. Ich habe Aralen im Wagen.« Taiwo schüttelt den Kopf. »Ich hole es sofort. Kein Grund zur Sorge. Ich müsste genug dabeihaben für die Anfangsdosis.« Er schaut Fola an, während er vom Tisch aufsteht.
Fola nickt gedankenabwesend. »Sehr gut, danke.« Und er geht nach draußen.
3
Fola erhebt sich ebenfalls und schaut ihre Tochter an. Sie spürt, dass ihr Herz zu schnell und zu laut schlägt, und da ist ein pulsierender Schmerz, unten rechts, wo sie eine kleine Narbe hat von damals, als sie mit dem Mädchen die Treppe hinuntergefallen ist. Kaum zu glauben, dass sie erst achtundzwanzig war, ein halbes Leben ist es her, drei Kinder (das erste Mädchen: ein absolutes Rätsel für die Mutter,
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