Diese Dinge geschehen nicht einfach so
etwas komplett Neues neben Olu und Kehinde, irgendwie gefährlicher). Schon mit eins war sie sehr schön, Taiwo. Sie waren
beide
sehr schön. Wo sie auch auftauchten, sie wurden bewundert. Fremde dachten immer, es seien zwei Mädchen, und fingen an, mit hohen Stimmen zu schwärmen: »Wie süüüüüüß.« Und das stimmte. Aber es machte Fola nervös. Zu kostbar, zu perfekt, vor allem das Mädchen, wie ein teures Geschenk aus zerbrechlichem Material, das man eigentlich nur anschauen darf und möglichst nicht anfassen. Kehinde war unkompliziert, wie Olu, sogar noch unkomplizierter, aber Taiwo weinte, sobald Fola sie ablegte, und hörte nicht auf zu wimmern, bis Fola kam – nur Fola, nie Kweku – und sie wieder hochnahm. Was sie ganz durcheinanderbrachte: dass es ihr so gut
gefiel
, dass sie einen richtigen Kick empfand, wenn sie das Mädchen hochhob und es sofort aufhörte zu weinen, seine Mutter anstrahlte, sich an sie schmiegte, das Gesicht an ihren Hals drückte. Diese Bedürftigkeit rührte Fola, überwältigte sie, brachte sie aus dem Takt; sie machte sich Sorgen, sie könnte die Kleine zu sehr bevorzugen oder verwöhnen oder sie verwirren, weil sie auf die Idee kommen würde, dass die Welt viel weniger teilnahmslos war als in Wirklichkeit.
An dem Tag, an den sie jetzt dachte, passierte dies: Sie war gerade dabei, die Zwillinge in der Badewanne oben zu waschen, als es unten an der Haustür klingelte. Es war Olu. Olu war fünf, und eine Erzieherin, die am anderen Ende der Straße wohnte, hatte ihn nach Hause gefahren und hupte jetzt, weil sie weiterfuhr. Die Tür war unten an der schmalen Treppe, zu weit weg, um die Zwillinge so lange unbeaufsichtigt zu lassen. Also hob Fola sie hoch, beide tropfnass und voller Schaum, klemmte ein Kind unter jeden Arm und rannte die Treppe hinunter, um Olu hereinzulassen. Und rutschte aus. Sie kann sich noch genau an das Gefühl erinnern, an die Panik in den Lungenflügeln, als einer ihrer Pantoffeln davonflog und sie mit dem Rücken gegen die Stufen knallte. Sie polterte abwärts und hielt dabei verzweifelt die nassen, glitschigen Babys fest, die so süß nach Seifenschaum rochen. Als sie endlich bremsen konnte, klemmte nur noch Kehinde unter ihrem Arm, und sie hatte sich irgendwie den Brustkorb an einer Stufe blutig geschlagen. Taiwo war, Gott sei Dank, vollkommen unverletzt unten an der Treppe gelandet. Da saß sie und guckte nach oben, während Fola sich aufrappelte, blutverschmiert, die Arme um Kehinde geschlungen. Taiwo schrie nicht, sie schaute nur. Aber ihr Blick war durchdringender als jedes Geschrei. Die Augen schienen zu sagen:
Du hast losgelassen, du hast mich losgelassen
. Diese Augen – die sie, Fola, am Anfang so entnervend gefunden hatte, denn sie hatte sie vorher nur auf einem Gemälde gesehen, mit unverwandtem Blick – starrten sie jetzt an, untröstlich, herzzerbrechend, anklagend: die Augen einer toten Frau im Gesicht eines kleinen Mädchens.
Olu klingelte noch einmal, und Taiwo begann zu schreien. Als er den Kummer seiner Schwester registrierte, fing prompt auch Kehinde an zu schreien. Fola schrie in ihrem Kopf; leise weinend öffnete sie die Tür. Olu war völlig perplex. »Nimm mal deinen Bruder.« Olu nahm Kehinde, Fola packte Taiwo und brachte sie alle nach oben, weg von der Kälte. Aber das Mädchen weinte immer weiter, leise und unermüdlich, stundenlang, bis zum Abend, bis ihr Vater nach Hause kam.
Fola betrachtet Taiwo und spürt, dass sie keuchend atmet, sieht ihre starren, weit aufgerissenen Augen, unnachgiebig, trocken, untröstlich, kochend vor Wut. Das ist es, was zwischen ihnen steht: diese Wut, Fola weiß es, seit die Zwillinge in Lagos waren – aber keiner der beiden will ihr sagen, was bei Femi passiert ist, und Sena, der sie gefunden hat, wusste angeblich auch nicht Bescheid. Da war nur dieser eine Anruf bei Sonnenaufgang im Sommer, zehn Monate nach dem Tag, an dem sie die beiden zum Flughafen gebracht hatte. Onkel Sena, den sie das letzte Mal auf dem Rollfeld in Ghana gesehen hatte, rief aus Nigeria an, um fünf Uhr morgens. »Ich habe sofort gewusst, sie gehören dir, gleich als ich sie gesehen habe. Das sind Somayinas Enkel, habe ich zu mir gesagt«, brabbelte Sena los, während Fola verzweifelt nach dem Lichtschalter tastete, sie schlief immer noch auf dem Sofa. »Bitte noch mal von vorne. Fang noch mal an.«
Seine Geschichte war konfus und unverständlich, was durch die schlechte Verbindung noch verstärkt wurde und erst
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