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Diese Dinge geschehen nicht einfach so

Diese Dinge geschehen nicht einfach so

Titel: Diese Dinge geschehen nicht einfach so Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Taiye Selasi
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Beratungstermine.« Er lacht. »Wir können auch sehr gut Chirurgen gebrauchen«, mit einer Handbewegung in Olus Richtung, »und weil ich deinen Vater kenne, bin ich davon überzeugt, dass du gut bist.« Er schweigt. Sie schweigen alle. Sie möchten wissen, worauf der Gast hinaus will und ob er Unterstützung braucht, aber er lacht wieder leise und redet unbeirrt weiter: »Er war der Beste in unserem Jahrgang am Johns Hopkins, euer Vater. Da konnte keiner mithalten. Und ich meine nicht nur uns Afrikaner. Niemand war besser, niemand kam auch nur in seine Nähe. Ich weiß noch – als er gekommen ist, da habe ich gedacht, wer ist denn dieser Provinzler von der Lincoln University? Ich hatte noch nie von dieser Uni gehört. Dabei hätte ich den Namen kennen müssen, weiß Gott, Kwame Nkrumah. Aber ich habe den ersten Teil des Studiums in Polen gemacht, man glaubt es nicht. Das waren schon komische Zeiten damals. Stipendien für Afrikaner im Kalten Krieg. Man konnte in Warschau studieren, ohne auch nur einen Penny zu bezahlen. Als ich nach East Baltimore gekommen bin, hatte ich einen Ostblock-Akzent. Ich glaube, die anderen haben lange gedacht, ich bin taub.« Er lacht wieder. »Aber wir haben es geschafft. Wir haben uns zusammengetan. Alle wollten mit eurem Dad befreundet sein. Und Kweku war …« Er verstummt, lächelt, schaut Fola an. Als er ihr Gesicht sieht, wendet er den Blick ab. »Er war schüchtern. Ein richtiger Streber, ehrlich gesagt. Aber er sah sehr gut aus und war extrem gewissenhaft. Und die Mädchen waren in ihn verliebt, alle miteinander. Geliebt hat er aber nur eine.«
    Fola sagt: »Also, ich finde …«
    »Bitte weitererzählen«, sagt Sadie, nicht laut. »Er hat nur eine geliebt?«
    Benson schaut wieder zu Fola, die den Kopf schief legt und seufzt. Dann wandert sein Blick zu Sadie, er erwidert ihr trauriges Lächeln. »Wir waren zu viert. Vier Afrikaner. Mit Trevor fünf, er kam aus Jamaika …«
    »Trinidad«, korrigiert ihn Fola.
    »Ja, stimmt – Trinidad. Fünf Brüder waren wir«, sagt Benson. »Begabt, vielversprechend, aber bitterarm. Wir bekamen Stipendien, aber wir haben das ganze Geld für Flüge ausgegeben, also blieb nichts übrig. Und was wir hatten, teilten wir. Wir haben gemeinsam gegessen, immer abwechselnd bei einem von uns, das heißt, von Montag bis Freitag kochte jemand anderes. Mittwochs war Kweku dran. Er hat immer
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gemacht. Wir hassten sein
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, es hat geschmeckt wie Kleister. Aber wir sind immer ein bisschen früher gekommen, weil wir mit eurer Mutter reden wollten. Oder sie anschauen. Keiner von uns hat sich je etwas getraut. Und dann haben wir euren Vater angesehen, diesen schüchternen Kerl aus Ghana, kein Kraftprotz wie Trevor, nicht groß, wie ich. Er hat seine Hemden immer bis zum obersten Knopf zugeknöpft, wie ein ghanaischer Lumumba, er hatte eine Brille … und sie.«
    Stille hat sich über alle gesenkt, ein dichter Schleier. Sie starren auf die Blumen wie auf einen Leichenwagen. Keiner weiß so recht, was die anderen denken, sie wissen nicht, ob sie etwas sagen sollen, weil sie dadurch womöglich den falschen Gedanken aussprechen könnten.
    Schließlich redet Fola. »Du meine Güte, Benson.« Sie lacht so traurig, dass die anderen auch anfangen zu lachen. »So war es doch gar nicht …«
    »Doch, das stimmt alles …«
    »Nein, überhaupt nicht. Er hat auch Eier mit Speck gemacht. Die waren noch schlimmer.« Sie steht auf und zupft einen Farn aus dem Reistopf. »Das Essen wird kalt«, sagt sie. »Esst.« Und das tun sie dann auch.
    Joloff, egusi
. Tapfer kämpfen sie sich durch und vermeiden die Gefahr der bedeutungsvollen Stille durch freundliche Bitten:
Würdest du mir bitte den Wein reichen, wie spät ist es, hast du da genug Platz, noch einen Schluck Wein, bitte, was ist da drin, sollen wir noch eine Flasche aufmachen?
Als Fola merkt, dass die Fragen seltener werden, steht sie auf, verschwindet und kommt mit dem Kuchen zurück. »Es ist unverzeihlich«, sagt sie, »dass ich nicht pünktlich geschrieben oder angerufen habe, aber vergessen habe ich es nicht.« Sie singt die ersten Noten, dann stimmen die anderen mit ein, während Sadie verlegen auf der Unterlippe kaut. Bei letzten, langgezogenen »to youuuu …« stellt Fola den Kuchen auf den Tisch und beugt sich dabei über Sadies Schulter, bleibt kurz in dieser Haltung, um Sadie zu küssen und zu sagen: »Du hattest recht.« Und das war’s dann, damit ist die Sache beendet, »ausdiskutiert«.

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