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Diese Dinge geschehen nicht einfach so

Diese Dinge geschehen nicht einfach so

Titel: Diese Dinge geschehen nicht einfach so Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Taiye Selasi
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denken.«
    »Hat es dir in Mali gefallen? Moment – willst du darüber nachdenken? Rede ich zu viel?«
    »Ich rede gern mit dir.« Er lächelt über das Lächeln, das er in der Dunkelheit spürt. »Ich habe nie die Chance, mit dir zu reden.«
    »Du meinst, du rufst nie an.« Aber sie lacht. »Und vielen Dank.«
    »Wofür?«
    »Die Studiengebühren. Mom hat mir letztes Jahr gesagt, dass du sie unterstützt, und dass du zu ihr gesagt hast, sie soll es mir nicht sagen, aber sie sagt mir so gut wie alles. Außer dass sie nach
Ghana
zieht.«
    Er lacht. »Gern geschehen.«
    »Du bist jetzt also berühmt?«
    Er lacht lauter. »Nicht so richtig, nein.«
    »Doch, doch, Kehinde. Ich seh dich online. Meine beste Freundin – ihre Familie ist auf diesem Kunsttrip. Die haben was gekauft, glaube ich. Eins von deinen neuen.«
    »Stimmt das?«
    »Ich finde sie gut. Die Matschdinger.«
    »Ehrlich?«
    »Aber sie sind so riesig. Wie machst du sie?«
    »Mit Matsch. Und großen Stoffstücken.«
    Jetzt lachen sie beide. Sadie tritt ihm gegen das Schienbein. »Lieber Gott – ich war noch nie in Afrika, ich weiß, aber – echt mal!«
    »Wie kann das sein? Du warst noch nie in Afrika?«
    »Schockierend, aber wahr.«
    Kehinde spürt, dass sie die Stirn runzelt. »Kein Grund, sich zu schämen«, sagt er schnell. »Unsere Eltern sind nie mit uns hierher gefahren, als wir noch klein waren.«
    »Warum eigentlich nicht?«
    »Sie haben gelitten. In ihren Ländern.«
    »Aber
ihr
wart hier. Ihr alle.«
    »Na ja, Olu war noch ein Baby. Und wir waren vierzehn.« Er merkt, wie seine Stimme kippt, räuspert sich. »Das war was anderes. Es war ja nicht so, dass wir das gerne wollten …« Jetzt redet er nicht weiter. Über der Haustür ist ein Licht angegangen, ein blassgelber Lichtkegel. Benson erscheint. Er geht mit energischen Schritten zur Einfahrt, ein Mann mit einem Ziel. Kehinde und Sadie hören auf zu flüstern, beobachten ihn. Benson sieht sie nicht. Plötzlich taucht ein Fahrer seitlich vom Haus auf, wo er mit den Bediensteten gegessen hat. Benson sagt etwas, was Kehinde nicht hören kann, dann das
Piep-piep
der entriegelten Wagentüren, blinkende Lichter. Der Fahrer öffnet den Kofferraum des SUV , holt eine Kiste heraus. Die beiden Männer besprechen etwas, nicht auf Englisch. Benson nimmt die Kiste, eilt zurück ins Haus. Das Licht über der Tür geht aus. Der Fahrer verschwindet.
    Kehinde nimmt einen Stock und beginnt, etwas in den Sand zu zeichnen, eine alte Angewohnheit. »Mich erinnert das an unser erstes Haus.« Ein Gesicht. »Da haben sie Drogen vertickt. Der Sohn vom Vermieter. Direkt unter dem Fenster von meinem und Olus Zimmer …«
    »Moment mal. Du und Olu, ihr habt in einem Zimmer geschlafen?«
    Er stellt fest, dass ausgerechnet das sie schockiert. »Bis du auf die Welt gekommen bist, ja.«
    »Ja, klar«, sagt Sadie. Mit einer Spur von Aggression.
    »Wieso ›ja, klar‹?« Er hat es gehört.
    »Bis ich auf die Welt gekommen bin. Das sagt ihr alle dauernd. Als hättet ihr davor ein total anderes Leben gelebt, als wäre ich nur so eine Art Nachklapp. Als hätte ich alles durcheinandergebracht.«
    »Sadie …«
    »Sag’s nicht. Sag nicht, ich bin überempfindlich. Sag nicht, dass ich einfach nur jünger bin oder irgendwas. Ich bin anders als ihr anderen, das sieht ein Blinder, verdammt, jeder Besuch sieht es, ich bilde mir das doch nicht ein. Ich weiß, was ich fühle«, flüstert sie heftig, worauf Kehinde erwidert: »Ich auch.« Sie hört, dass er lächelt, und weil sie denkt, er macht sich über sie lustig, sagt sie: »Danke, dass du lachst …«
    »Nein, ich weiß, was du meinst.« Jetzt lacht er wirklich, leise, er erinnert sich ganz genau, sieht sein eigenes Gesicht in ihren Worten, dieses kleine Gesicht, ein Mädchengesicht, was ihn ewig gequält hat, denn alle haben ihn damit aufgezogen, dass er so hübsch ist. »Ich habe früher in unserer Familie auch das Gefühl gehabt. Dass ich anders bin. Dass ich nicht dazugehöre …«
    »Dass du nicht
dazugehörst
? Du hattest Taiwo.« Sie flüstert das so leidenschaftlich, ohne jede Spur von Mitgefühl, erfüllt von dem Besitzanspruch, den man für den eigenen Schmerz empfindet, von dem aggressiven Beharren darauf, dass dieser Schmerz einzigartig ist, in seinem Wesen, seiner Tiefe, seiner Dauer.
    »Stimmt. Ich hatte Taiwo«, sagt er und überlegt. »Damals. Damals hatte ich Taiwo. Aber sie war das Mädchen. Ich war derjenige, der das Zimmer mit Olu geteilt hat. Ich

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