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Diese Dinge geschehen nicht einfach so

Diese Dinge geschehen nicht einfach so

Titel: Diese Dinge geschehen nicht einfach so Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Taiye Selasi
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ihr bestimmt schon besser, und bis Silvester habe ich genug Geld zusammen …«
    »Wir bitten darum, Kweku. Wir müssen.«
    Sie taten es.
     
    Das heißt:
Sie
tat es. An dem Tag gab sie ihr letztes Geld für ein Ticket nach Lagos aus, um einen Dreckskerl zu besuchen, ihren jüngeren Halbbruder Femi, dessen Mutter, diese miese Prostituierte, das Geld ihres toten Liebhabers genommen hatte und damit abgehauen war.
    * * *
    Dann Ghana und der Geruch, ein Widerspruch: zerbrochener Tontopf. Der Geruch von Trockenheit, Nässe, beides gleichzeitig, die feuchte Erde und der trockene Staub. Der Flughafen. Körper, die drängeln, zerren, schreien, betteln, anfassen, atmen. Er hatte die Körper vergessen. Die Nähe der Körper. In Amerika waren die Körper weiter entfernt. Ihre Wärme. Sich durch die rempelnde Menge zwängen, durch die warmen Körper, Folas Arm umklammernd, während Fola das Baby umklammerte, sein Geschwader zum Taxistand führen. »Deine Handtasche«, rief er Fola über die Schulter zu. »Du musst aufpassen! Wir sind in Ghana.«
    »Ach, ja?«
    Aber als er sich umschaute, lachte sie. »Mein Freund, ich komme aus Lagos. Vergiss dein kleines Ghana.« Sie zwinkerte ihm zu. »Ich kann das. Wir können das.«
    Und dann zu Hause.
     
    Sie fuhren mit einem klapprigen Taxi ins Dorf, einer typischen rot-gelben Blechkiste, die schwarzen Qualm ausstieß und mühsam über die dunkelrote Sandpiste hoppelte. Keiner sagte ein Wort, sogar Olu schwieg, als wüsste er Bescheid in seinem Babyherzen. So hatte Kweku sich seine triumphale Rückkehr nicht vorgestellt, politische Hysterie im Radio, keine Geigenklänge à la John Williams, aber dieser Fahrer war der einzige am Stand, der erstens seinen Preis akzeptierte und zweitens den Weg zu seinem Dorf kannte.
     
    Eine Stunde außerhalb der Stadt: der Ozean.
    Unangekündigt, ohne Fanfare.
    Von der Stadt hatten sie die damals noch ungeteerte Straße gemeistert, bis zu der Kreuzung, von der sie abbiegen mussten, den trockenen, kahlen Hügel hinauf in Richtung Kokrobité. Der Hügel brachte sie hinunter zur Küste, die man wegen der Grasaufschüttungen links entlang der Straße nicht sehen konnte. Dann, plötzlich, eine Lichtung: von Kühen abgefressenes Gras, niedrig, dahinter Sand, Meer, Himmel, endlos. Die dramatische Enthüllung. Etwas, das schon die ganze Zeit dagewesen war, weniger überraschend als erschreckend, die Weite und wie sich dadurch alles veränderte. Die Luft.
    Es war sieben Uhr morgens, das wusste er, ohne auf die Uhr zu sehen, weil die Männer da saßen und ihre Netze von der vergangenen Nacht einholten, mindestens elf, in einer vertikalen Linie am Ende eines Seils, das weit hinaus ins Meer reichte.
Hau
ruck!
Vorwärts, rückwärts, ein perfekt eingeübter Gleichtakt, alle zogen im Rhythmus, wie Ruderer auf Sand, in verwaschenen bunten T-Shirts (ganz ähnlich wie die T-Shirts, die man bei Goodwill kaufen konnte). Und die Palmen beugten sich mit ihnen. Ihre Wedel flatterten im Wind.
    Er musste irgendein Geräusch gemacht haben, während er aus dem Fenster starrte, denn Fola legte ganz zart ihre Hand auf seine. So machte sie das immer. Nie nahm Fola seine Hand, »hielt« sie nie, sondern legte sie nur leicht auf seine: ein Angebot. Zu halten oder gehalten zu werden. Er nahm ihre Hand gedankenabwesend, ohne den Blick vom Fenster zu wenden. Das ging nicht, er klebte fest, war wie gelähmt von der Aussicht – und dann bildeten sich die ersten Tränen, locker, wie Kumuluswolken. Sie verschleierten seinen Blick, noch zu unreif, um zu fließen. Sie dienten dazu, die Umrisse zu verwischen, ein Filter, der Strand, der grau leuchtete, in himmlisch verschwommenem Licht, wie eine Szene aus einer dieser Seifenopern, die alle Krankenschwestern sich immer anschauten – unwiderstehlich, fesselnd, man brauchte nur die Grundhandlung zu kennen. (Und er kannte sich aus. Kannte den elementaren Handlungsstrang. Tanzen, Baumsaft, Großmütter.) Er starrte wie die Krankenschwestern, durch nicht-fließende Tränen.
    Wieso hatte er diesen Anblick gehasst? Diesen Strand, die Rücken dieser Fischer, die braun glänzten, ihre langen Holzboote, auf deren splitterndem Holz seitlich in kräftigen Farben biblische Dinge standen: »Black Star Jesus«, »Jah herrscht«, »Christus, der Menschenfischer«, dreifarbig, im Rot, Gelb, Grün der Nationalflagge und im nationalen Geist des
Open-Source-Ethos
, dieser Vermischung von Anglikanisch, Rastafari, Ghanaisch. Was gab es da zu hassen? Da war nur

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