Diese Dinge geschehen nicht einfach so
wegen
seines
Todes hassen würde.
Aber noch nicht.
Erstens: um Mitternacht aufwachen, mit einem Hohlraum in der Brust. Zweitens: den Flur entlangschleichen, zum Schlafzimmer ihres Vaters, leer. Drittens: in sein Bett klettern, noch erwärmt von seinem Geruch (Rum, Seife, Russisch Leder), das Gesicht mit seiner dicken Kente-Decke zudecken und daliegen, das Gesicht nach oben, mit offenen Augen, reglos. Still wie eine Leiche, in Baumwolle gehüllt und schwitzend, weil die Klimaanlage nicht an ist, ihr Vater nicht da, weil er am Morgen nach Kaduna gefahren war, nachdem er von Freunden erfahren hatte, dass die Igbos im Norden wieder angegriffen wurden.
»Schon wieder?«,
hatte sie geseufzt, schlechtgelaunt, laut ihr Frühstück schlürfend (
Gari,
Zuckerwasser, Eis). Sie wusste schon, dass er gehen würde, merkte es daran, dass er dieses Frühstück für sie gemacht hatte, »ein Buschmädchen-Frühstück«, wie er es spöttisch nannte, Maniokpulver in Eiswasser, ihr Lieblingsessen. Wenn dieser Großvater so reich war, wie es immer hieß, mit seinem Mercury Cyclone CJ und dem terrassierten Holzhaus im Ranch-Stil, warum musste ihr Vater dann immer »nach ihm sehen«, fragte sie ihn und kaute knirschend das Eis, aber sie wusste es ja. Er musste gehen, immer, um die Großeltern zu besänftigen, um sich reinzuwaschen, um die Nwaneris um Vergebung zu bitten für den Tod von Somayina (der, technisch gesehen, nicht seine Schuld war, sondern ihre, die Schuld der kleinen Fola, oder höchstens noch die Schuld des Arztes oder die des Schoßes).
»Sie stecken immer in Schwierigkeiten, diese Igbo.
Na wow o.
«
»Deine Mutter war eine Igbo.«
»Zur Hälfte.«
»Das reicht.« Aber als sie aufblickte, sah sie, dass er lachte und sie auf den Kopf küssen wollte, bevor er ging. »Ich bin vor Sonntag zurück. Ich hab dich lieb.«
»Mo n mo.«
Auf Yoruba gab es keine entsprechende Formulierung für »Ich hab dich lieb« oder »Ich liebe dich«. »Wenn man jemanden liebt, dann zeigt man es ihm«, sagte ihr Vater oft. Aber auf Englisch verwendete er sie, und Fola erwiderte dann auf Yoruba: »Ich weiß.«
Mo n mo
.
Zur Tür hinaus.
Einfach so.
Stand auf, stellte seine Kaffeetasse weg, küsste sie einmal auf die Stirn, legte die Hand auf jeden ihrer Afro-Puffs, ging zur Tür hinaus. Weg. Wollige Haare und ein Anzug aus Wollstoff und kräftige Schultern, so wippte, wippte, wippte er außer Sichtweite. Die Schwingtür ging auf, schloss sich.
Drittens: vierzehn Stunden später in seinem Bett zwischen den Laken liegen, unter die Kente-Decke schlüpfen, hinein in die Dunkelheit, in die Abwesenheit, Geruch und Hitze, ein unbewegter, stummer Ozean. Und dort bleiben. In der Stille, stocksteif, nicht bewegen, wissen.
Dass etwas weggenommen worden war.
Dass etwas, das in der Welt gewesen war, diese gerade eben verlassen hatte, so endgültig und einfach, wie Menschen ein Zimmer verlassen oder wie der Staub eines verblühten Löwenzahns im Wind davonschwebt, lautlos, und zurück bleibt dieser leere Raum, diese offene Stelle. Die unfassbare, unerträgliche, grenzenlose Offenheit, die jetzt überall um sie herum erscheint, über ihr, unter ihr, ein klaffendes Loch, in ihr. Oder ein Mund: fremd, feucht, hohl und hungrig. Unersättlich.
Die Einzelheiten kamen später – so wie Einzelheiten kommen, so wie man die Einzelheiten eines Todes, außer dem eigenen, wissen kann, wie es war, wie lang oder beruhigend, kalt oder grauenvoll, einsam – aber das Entscheidende geschah dort im Schlafzimmer. Der Verlust. Später, wenn sie dann allein ist, wird sie darüber nachdenken, über die unheimliche Ähnlichkeit zwischen jenem und diesem Moment – allein in der Dunkelheit, in der brütenden Hitze, in einem Zimmer, das nicht ihres ist, in einem Bett, das viel zu groß ist. Spiegel-Enden. Das Ende des Lebens, so wie sie es kannte, Mitternacht in Lagos, ohne zu ahnen, was passiert war (es wäre ihr gar nicht in den Sinn gekommen, dass es das Böse gab, dass der Tod indifferent war), aber trotzdem wusste sie irgendwie Bescheid. Dies war das Ereignis für sie, der Verlust in seiner greifbaren Form, die Stunden, in denen sie die Grenze zwischen Wissen und Erkenntnis überquerte, hin zu »Verlust« im abstrakten Sinn, zu Traurigkeit. Sechs, sieben Stunden, in denen alles offen war, bis es sich langsam zu Einsamkeit verhärtete.
Die Einzelheiten kamen später – eine Wagenladung Soldaten, Hausas, zugedröhnt mit billigem Heroin und mit Hass, hatten sie
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